Im Gleichschritt oder aus der Reihe getanzt
Marschmusik macht fröhlich, weckt die Lebensgeister, selbst wenn sie vom Generator erzeugt wird. Auch wenn nur vier Menschen versuchen in Tritt und Sprung, in Drehen und Winden synchron zu sein, dann entsteht eine gleich geformte Menge. Ob das erstrebenswert ist, müssen sich die jungen Zuschauer:innen von „Unisono“ selbst beantworten. Ausgedacht hat sich die Performance mit Musik, Text und Bewegung das Kollektiv makemake, gespielt wird im Studio des WuK für junge Menschen ab dem Schulalter.
Ein Quartett bewegt sich synchron, doch mitunter, wie das schon so ist, im Schwarm, absentiert sich die eine oder die andere. Wenn der Befehlston erklingt, heben wieder alle vier gleichzeitig die Beine. Natürlich muss auch gezählt werden, damit alle im selben Takt umfallen und aufstehen, den Rhythmus gibt die Musik lautstark vor. In der mit Gesang und Textzeilen garnierten Stunde sind zwei Tänzerinnen, eine Sängerin und ein Drittel der Kompanie Freispiel auf der Bühne. Dieses ominöse Drittel der hochlöblichen Kompanie Freispiel ist Kajetan Uranitsch, der mehr kann und will als Regie führen, darstellen und Stücke ausdenken. Der Vollständigkeit halber: Die beiden anderen Drittel sind Simon Schober und Siruan Darbandi. Die sind aber nicht in der Einklang-Riege angetreten. Hingegen sind noch im Unisono-Darstellerinnen-Team Martina Rösler, die anstelle der erkrankten Emmy Steiner im wahrsten Sinn des Wortes eingesprungen ist. Sie hat die Choreografie in Kopf und Beinen, denn sie hat diese geschaffen. Weiters sind unisono dabei: Steffi Wieser und Barca Baxant, die ihre Stimme unbedingt verstärken muss, was sie leider eher verzerrt. Und wenn der Techniker am Regler den Schalter auf ganz laut dreht, versteht man natürlich gar nichts, vielleicht ist das auch besser so. Dennoch, wenn die vier ihre Merksätze aufsagen oder demoartig gemeinsam brüllen, ist der Gleichklang nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören.
Die vier auf der Bühne mühen sich redlich und natürlich kann man darüber nachdenken, ob das Individuum in der Gruppe untergeht, ob eine Anschafferin / ein Anschaffer vonnöten ist, soll der gleiche Ton gelingen. Überhaupt ist ja Gleichklang, Gleichschritt, Gleichdenken, Gleichriechen, Gleichlachen und Gleichklatschen etwas sehr Schönes und allgemein Toleriertes, ja von manchen sogar Erwünschtes. Aber, abgesehen von den politischen, gesellschaftlichen Dimensionen – es ist eine Performance für Kinder, unisono ist auch ein wenig langweilig. Deshalb wurde ja, sobald die Menschheit genügend den eintönigen Choralgesang gepflegt hatte, die Polyfonie, die Mehrstimmigkeit, erfunden. Die sollte wohl in das angeblich finstere Mittelalter etwas Licht bringen. Um 1300 haben schon ein paar Mönchlein mit vielen Stimmen gesungen, aber dann war die Chormusik lange Zeit doch wieder recht eintönig, richtig losgegangen ist es erst in der Renaissance, da sangen oft sieben Chöre gegeneinander – falsch, sie saßen vielleicht gegeneinander, gesungen haben sie natürliche miteinander, waren jedoch unterschiedlich gestimmt. Im Barock, wo die Herrschenden dem Absolutismus huldigten, war die Mehrstimmigkeit nicht wirklich gewollt, sie verschwand von alleine. Und danach wurde ja auch von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weniger gesungen.
Exkurs beendet. Gesungen wird nur ganz wenig in „Unisono“, vor allem geht es um die gemeinsam oder auch getrennte Bewegung. Schon ein Quartett kann schöne Bilder zaubern, wenn sie nur gemeinsam laufen, liegen, rollen, oder in einen Apfel beißen. Also dieses Beißen und Kauen im Takt war weniger schön als eben ein imaginärer Kotau vor den jungen ZuschauerInnen, die am Premierenabend durch Abwesenheit glänzten. Aber die Sterne und Kreise in der Waagrechten, die senkrechten Wellen und Linien zeigten, dass in dieser Performance auch die Form enthalten ist. Doch es gibt kein Ziel und wir wissen es spätestens seit Friedrich Schiller: "Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden. … Verbunden werden auch die Schwachen mächtig." Ach, der Werner Stauffacher, ein echter Gutmensch, der die Armen speist und die Geflüchteten beherbergt, der hat in der guten alten Zeit gelebt, als die Rede noch klar war, „ja, ja“ und „nein, nein“ und nichts darüber.Es ist keine falsche Idee, Kindern die Ambivalenz des unisono Tanzens vorzuführen, damit es eine befriedigende Performance wird, genügt es nicht, wenn vier Darstellerinnen ihren Apfel hervorholen und hineinbeißen.
Wäre ich heute schon in dem Metier engagiert, das ich für das nächste Leben vorgesehen habe, nämlich als Kürzungsdramaturgin, dann würde ich die vielen Wiederholungen der Rhythmusbatterie streichen, auch die wunderbaren Geistermelodien etwas einschränken und monieren, dass nicht fünfmal im Kreis gelaufen werden muss, um sich verständlich zu machen. Einmal reicht, die Kinder von heute sind ungemein vif, die meisten sind sogenannte Blitzgneißerinnen, verstehen das Ungesagte und sogar Ironie. Ich hätte jetzt 20 Minuten eingespart und die würde ich einer öffentlichen Diskussion oder Fragestunde widmen. Dann wüsste ich auch, ob die Volksschüler:innen – unisono denken oder völlig divers. Wobei Letzteres vorzuziehen ist.
makemake Produktionen. „Unisono – vom Einklang zur Norm, von Norm zu Einklang“, 2. bis 6. März, Projektraum, WuK performing arts.
Konzept: makemake Produktionen. Choreografie: Martina Rösler.
Bühne: Nanna Neudeck; Lichtdesign: Samuel Schaab; Text: Theresa Seraphin; Komposition: Katharina Ernst; Dramaturgie: Anita Buchart. Stückentwicklung: Michèle Rohrbach. Kommunikation: Birgit Schachner.
Performance: Barca Baxant, Steffi Wieser, (Emmy Steiner), Martina Rösler, Kajetan Uranitsch.
Fotos: © Apollonia T. Bitzan