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Boglárka Börcsök: „Figuring Age“, ImPulsTanz

Boglárka Börcsök, bereits verwandelt in Ágnes, Éva oder Irén.

Transformation, Verwandlung ist beim diesjährigen ImPulsTanz Festival mehrfach das Thema. Die in Berlin und Budapest lebende ungarische Tänzerin Boglárka Börcsök hat die Kunst der Verwandlung im Körper gespeichert. In „Figuring Age“ porträtiert sie im Mumok drei ungarische Tänzerinnen, Pionierinnen des Freien Tanzes in Ungarn. Irén Preisich, Éva E. Kovács und Ágnes Robozt waren alle drei an die 100 Jahre alt, tanzen konnten sie nicht mehr, Andreas Bolm hat ihren eingeschränkten Alltag zu Hause gefilmt.

Schon in Eszter Salamons Choreografie „The Valeska Gert Museum“ (ImPulsTanz Festival 2018) hat Börcsök ihre Fähigkeit, sich in einem Augenblick in eine andere Figur zu verwandeln, gezeigt. Sie ahmt ihre „Modelle“ nicht nach, sondern wird zu Irén, Éva und Ágnes, als hätten die Körper der alten Tänzerinnen vom jungen Körper Boglárkas Besitz ergriffen.
Eine alte Tänzerin kramt in den Erinnerungen (Boglárka Börcsök).Um den Wechsel von einer zur anderen deutlich zu machen, wechselt Börcsök ihre Position und ihren Platz. Sie ist so gebrechlich, dass ihr immer jemand aus dem Publikum helfen muss, sie führen, sie stützen beim Niedersetzen, Aufstehen und Niederlegen. Ein Glas Wasser wird ihr gebracht, die Schuhe müssen ihr ausgezogen werden, die Decke hochgezogen. Helfende Hände sind jederzeit zur Stelle. Der Raum alter Menschen schränkt sich immer mehr ein, auch soziale Kontakte sind selten, alte Menschen sind vor allem auf sich selbst bezogen, leben in ihren Erinnerungen. Leicht hatten es alle drei als junge Tänzerinnen nicht, der moderne Freie Tanz war um 1930 in Ungarn unterdrückt bis verboten. Die Erinnerungen der drei Tänzerinnen, von ihrer jungen Kollegin gestisch und erzählend zum Leben erweckt, sind ein Spiegel ihrer Kunst, deren Veränderung im Lauf der Jahre und zugleich auch die Wirren und Brüche des vergangenen Jahrhunderts. Andreas Bolm und Boglárka Börcsök haben die Tänzerinnen in ihren Wohnungen besucht. © Videostill. Wie ein Magnet zieht Boglárka Börcsök das Publikum in die schrumpfende Welt des Alters hinein, ist hilflos und herrisch zugleich. Mit verkniffener Miene hadert sie mit der Politik, damals und heute, seliges Lächeln verzaubert das Gesicht, wenn ihr (einer der drei Damen) mit den Armen die Andeutung einer Tanzgeste gelingt.
Börcsök hat die drei Tänzerinnen 2015 in Budapest getroffen. Börcsök in "The Valeska Gert Museum" von Eszter Salamon, 2018 im mumok. Foto ©  Karolina MiernikGemeinsam mit dem Filmemacher Andreas Bolm wollte sie mit ihnen arbeiten, doch war klar, dass sie nicht mehr auf der Bühne stehen konnten, doch alle drei erlaubten, sie in ihren Wohnungen zu porträtieren und ihren Alltag zu filmen. Als Ergänzung der außerordentlichen Performance von Boglárka Börcsök ist Bolms Film zu sehen. Die Erinnerungen und Erfahrungen, die von den drei Tänzerinnen in Börcsöks Körper übergegangen sind, können noch einmal eindrucksvoll erlebt werden. Inzwischen sind Éva E. Kovács, Irén Preisich und Ágnes Roboz verstorben, Boglárka Börcsök kann sie wieder mit den Bewegungen und Erinnerungen herbeizaubern. Eine gespenstische und außergewöhnliche Performance mit intensiver Nachwirkung.

„Figuring Age“
Konzept, Regie, Produktion: Boglárka Börcsök, Andreas Bolm.
Performance: Boglárka Börcsök.
Besetzung Video: Éva E. Kovács, Irén Preisich und Ágnes Roboz.
Je drei Vorstellungen: 24., 26. Juli 2022, mumok, im Rahmen von ImPulsTanz.
Uraufführung am 23. Juli 2020 beim Festival "Die irritierte Stadt", Stuttgart.
Fotos © Andreas Bolm.