Schallundrauch agency: „Waldrapp“, Dschungel
Ein Biologielehrgang mit Gesang, Tanz und Spielfreude zum Gaudium der Kinder ab 4. Es geht um einen nahezu ausgerotteten interessanten Vogel, den Waldrapp. Gabriele Wappel, Jasmin Steffl und Lawrence Ritchie erzählen von der Zugvogelfamilie, singen eigene Erinnerungen und fliegen mit den Vögeln, damit sie, die im Tiergarten aufgewachsen sind, im Herbst den Weg in wärmere Gegenden finden.
Die Kunst des schallundrauch agency-Teams ist die Unmittelbarkeit ihrer Bühnenpräsenz. Dass den scheinbar improvisierten Auftritten, Liedern, Tänzen, Erzählungen eine intensive Probenzeit vorangeht, ist nicht zu sehen. Jeder Satz, jede Geste und Mimik wirken spontan und überraschend. Die Gründerinnen der Agency, Janina Sollmann, Regisseurin von „Waldrapp“, und Gabriele Wappel, Darstellerin, wissen genau, wie sie die jungen Zuschauer:innen bei Laune und die Spannung halten. Ihre Themen werden genau recherchiert und erforscht, sodass auch die Begleitpersonen ihre Freude an der Vorstellung haben und Neues über sich selbst und die Welt außerhalb erfahren. Diesmal also der Waldrapp, ein komischer Vogel mit Glatzkopf und roten Füßen (die auch die drei zweibeinigen Vögel zeigen), der als Küken gern kuschelt und immer hungrig ist. Der Waldrapp ist nahezu ausgerottet worden und hat lediglich im Käfig überlebt. Aber dieses betreute Leben hat seine Nachteile: die Jungen wissen nicht mehr, wie sie in der kalten Jahreszeit den Weg in den Süden finden. Es muss ihnen neu beigebracht werden, das übernehmen Menschen, die, wie einst Konrad Lorenz für seine Gänseküken, zum Ziehvater, zur Ziehmutter werden, die Jungvögel an sich und auch an das Fluggerät mit seinem lauten Motor gewöhnen. Vorausfliegend zeigen sie der Schar dann den Weg ins Winterquartier.
Michael Haller hat die Bühne ausgestattet, das Fluggerät gebaut und es auch geschafft, 15 kleine Waldrappe (Waldi genannt) fliegen zu lassen. Lebhaft erinnert mich dieses perfekt gebaute Stück an den Film von Nocolas Vanier: „Der Junge und die Wildgänse“, der das Thema nach der Arbeit des Meteorologen Christian Moullec, der sich dem Schutz der Zwerggänse verschrieben hat, mit der Filmkamera in Szene gesetzt hat. Moullec hat mit Gänsen und Kranichen, die er zuvor auf sich geprägt hatte, Flüge mit Ultraleichtflugzeugen unternommen und fotografisch dokumentiert.
Auch Gabi, Jasmin und Lawrence (in der agency stellen sich die Darsteller:innen immer mit ihren Vornamen vor, schlüpfen in verschiedene Rollen und bleiben doch sie selbst) gelingt es, die Waldis auf sich zu prägen, mit dem Leichtflugzeug abzuheben und die Vogelschar hinter sich herzuziehen. Wie das technisch gelöst ist, muss man gesehen haben, es sind magische Minuten, wenn der Vogelzug in den Wolken verschwindet, das Küken Oskar verloren geht und die Verbindung zum Boden nicht mehr klappt. Die ausgeklügelte Lichtregie (Michael Zweimüller, gecoacht von Silvia Auer) sorgt für die aufgeregte und entspannte Stimmung. Die kleinen Waldrappe landen sicher in Italien, den Rückweg, wenn in ihrem Geburtsland wieder die Sonne vom Himmel brennt, finden sie von allein.
Das junge Publikum findet vor lauter Begeisterung den Weg nach draußen nicht, sondern stürmt auf die Bühne, verbeugt sich mit und vor den Mitwirkenden. Dass die in perfekter Dramaturgie vergangenen 50 Minuten auch eine Unterrichtsstunde in Vogelkunde und Artenschutz waren, ist Kindern und Erwachsenen nicht aufgefallen, den Waldrapp mit seinen gesträubten Nackenfedern werden sie nicht so schnell vergessen. Sie könnten ja auch, wie Michael Haller es getan hat, ein Mobile aus Waldrappen basteln, dann fliegen die Vögel auch zuhause.
Schallundrauch agency: „Waldrapp“
Performance, Tanz, Musik und Stückentwicklung: Gabriele Wappel, Jasmin Steffl, Lawrence Ritchie. Regie: Janina Sollmann. Bühne: Michael Haller, Kostüme: Afra Kirchdorfer; Licht: Michael Zweimüller. Fotos: Theresa Pewal.
Premiere: 20.5.2022, Dschungel Wien. Folgevorstellungen bis 26.5.2022. .