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Ballett: „Onegin“ mit vielen Debüts. Ein Fest

Ländliche Feste, städtische Bälle unterhalten im Ballett "Onegin".

John Crankos Choreografie nach Alexander Pushkins Versroman „Eugen Onegin“, zum Unterschied von Peter Tschaikowskis gleichnamiger Oper schlicht „Onegin“ genannt, ist eines der erfolgreichsten Handlungsballette des 20. Jahrhunderts. In der Wiederaufnahme der an der Wiener Staatsoper 2006 zum ersten Mal getanzten Erzählung von vergeblicher Liebe, Eifersucht und männlichem Hochmut brillierten die Solistinnen und Solisten. Der erste Abend, am 23.Dezember 2021, war ein Fest.

Bald zerstören Übermut und Eifersucht die Harmonie des Brautpaares. Aleksandra Liashenko ist Olga, Denys Cherevychko der Bräutigam, Lenski.  Im Landhaus der Familie Larina geht es lustig zu: Olga wird demnächst den Dichter Lenski heiraten, das Festtagskleid ist bereits fertig. Olgas jüngere Schwester Tatjana interessiert das wenig, das verträumte Mädchen lebt in der Welt romantischer Romane. Und als der Dandy Onegin aus Moskau von seinem Freund Lenski als Gast mit aufs Land gebracht wird, ist es um Tatjana geschehen. Sie hat sich Hals über Kopf in den eingebildeten Schnösel verliebt. Er ist wenig beeindruckt, zerreißt den Liebesbrief und drückt ihr die Fetzen in die Hände. Und nach Jahren, als Tatjana verheiratet in Moskau lebt, fällt ihm plötzlich ein, dass ihr seine große Liebe gehört. Zu spät.
Crankos Ballett zeichnet sich nicht nur durch die feine Charakterisierung aller Personen, auch der Burschen und Mädchen auf dem Land und der Damen und Herren im bürgerlichen Ballsaal von Moskau, aus, sondern auch durch die virtuosen Pas de deux mit rasanten Drehungen und tollkühnen Sprüngen, fröhlich und locker von Olga und Lenski, gefühlsintensiv und überschwänglich von Tatjana und Onegin getanzt. Gefallen können auch die Gruppenszenen, die das Fest auf dem Land und den Ball in Moskau üppig dekorieren. Bei Cranko wird nicht mehr getanzt um des Tanzens willen, sondern als Teil der Handlung. Von den festlichen Bällen und ländlichen Tänzen erzählt auch Puschkin, jeder Pas de Deux ist bei Cranko ein intensives Gespräch zwischen Mann und Frau. Und wenn die beiden Schwestern den beleidigten Lenski abhalten wollen, sich zu duellieren, zerreißt es dem Publikum die Herzen. Tantajana (Hyo-Jung Kang) träumt sich Onegin herbei. In der ersten Vorstellung glänzten die beiden Paare – Hyo-Jung Kang und Jason Reilly, Tatjana / Onegin und Aleksandra Liashenko mit Denys Cherevychko, Olga / Lenski – durch beeindruckende Präzision und Harmonie. Hyo-Jung Kang, in Seoul geboren, ist seit dieser Spielzeit Erste Solotänzerin im Wiener Staatsballett und ist bereits in den beiden Balanchine-Chorografien („Sinfonie in C“ und „Symphony in Three Movements“, womit sie im September ihr Hausdebüt gefeiert hat) als hinreißende Ballerina aufgefallen. Zuvor war sie Erste Solotänzerin im Stuttgarter Ballett, wo sie seit 2003/04 engagiert war. Ihren Partner, Jason Reilly, kennt sie gut, gemeinsam haben sie das Solopaar in „Onegin“ am Ort des Entstehens von Crankos Choreografie getanzt. Auch Reilly hat viele Jahre in Stuttgart getanzt, ist neben anderen Preisen 2015 mit dem Titel Kammertänzer ausgezeichnet worden. Dass er in Wien als Gast für zwei Vorstellungen engagiert ist, wird dem Publikum vorenthalten, auf dem Programmzettel steht nur in winziger Schrift, dass er zum ersten Mal in Wien tanzt: „Hausdebüt“. Seine nonchalante Eleganz, seine präzisen Sprünge und der hochmütige Gang und die gelangweilte Miene machen ihn zu einem Onegin par excellence. Gewagte Sprünge: Hyo-Jung Kang (Tatjana) mit Denys Cherevychko (Lenksi).
 Hyo-Jung Kang umtänzelt ihn anmutig und fliegt ihm in der Traumszene pfeilschnell entgegen, dreht als Kreisel und überzeugt auch im letzten Akt ausdrucksstark von ihrer noch immer blühenden Liebe zu diesem jetzt winselnden Macho. Der Dichter Puschkin und somit auch Cranko lassen sie aber verzichten, sie weist ihn ab, bleibt treue Ehefrau. Das ist ihm gegönnt, macht aber zugleich auch ein wenig traurig. Ebenso verbunden sind auch Aleksandra Liashenko und Denys Cherevychko als Olga und Lenski, Tatjana (Hyo-Jung Kang) träumt von der Liebe. Traumbild  Onegin (Jason Reilly) ist auf dem Bild unsichtbar. deren Liebe an ihrem Übermut und seinem Ehrgefühl scheitert. Beide stammen aus der Ukraine und Cherevychko, der seit 2012 Erster Solotänzer im Wiener Staatsballett ist, hat bereits mehrmals gezeigt, dass er mit Liashenko, die seit 2020/21 als Solotänzerin im Wiener Staatsballett engagiert ist, ein harmonisches Paar bildet. Ein Idealer Lenski ist Cherevychko für mich nicht, seine Qualitäten liegen in Hohen Sprüngen und perfekter Beinarbeit, der romantische Dichterling, der in der Duellszene den Mond anfleht, ihn nicht sterben zu lassen, ist er nicht wirklich. Doch im Ersten Akt, wenn die Welt für alle noch in Ordnung ist, entzückt er in den wirbelnden Pas de deux mit Liashenko. Halb zieht er sie, halb sinkt sie hin, doch sie widersteht und weist ihn weg. Hyo-Jung Kang als Tatjana, Jason Reilly ist Onegin. Zusammen bilden sie ein zauberhaftes Paar. Wie nahezu das gesamte Corps de ballet feiert auch Rebecca Horner ein Rollendebüt. Sie ist Madame Larina, die Mutter der Schwestern Olga und Tatjana. So eine schöne Witwe tanz selten um ihre Töchter herum. Corpstänzer Igor Milos macht gute Figur im Rollendebüt als Fürst Gremin, dem späteren Ehemann Tatjanas.
 In dieser Besetzung ist diese Geschichte, die von der Liebe, von tapferen, aufrechten Frauen und keineswegs heldenhaften Männern handelt noch einmal, am 28. Dezember 2021, zu sehen. Noch ein Hausdebüt gilt es zu vermelden: Dirigent der Vorstellung war Johannes Witt, der zum ersten Mal im Orchestergraben der Staatsoper den Takt angegeben hat. Mit Verve und Einfühlungsvermögen hat er mit dem Orchester der Wiener Staatsoper sämtliche Emotionen, von der Lebenslust Olgas, dEs nützt kein Bitten und kein Flehen, sie ist verheiratet, er muss gehen. Tatjana: Hyo-Jung Kang, Onegin: Jason Reilly a. G. er tiefen Enttäuschung Tatjanas und der schmerzhaften Trauer über den Tod Lenskis im Duell mit Onegin bis zur triumphierenden Entsagung Tatjanas am Schluss, in der Musik Tschaikowskys zum Glühen gebracht. Witt, in Hamburg 1985 geboren, in Toronto und Köln aufgewachsen, hat ein Faible für das Ballett und auch die Musik von Tschaikowsky. Von „Dornröschen“ bis „Onegin“ hat er sämtliche berühmten Ballette im Portefeuille. Bei aller Freude an der Musik und der Arbeit mit dem Orchester vergisst er nicht, dass Ballettmusik kein Konzert ist. Immer wieder wirft er einen Blick auf die Bühne, um die Tänzer:innen begleitend zu unterstützen.

„Onegin“, Ballett in drei Akten & sechs Szenen von John Cranko nach dem Roman in Versen “Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin.
Musik von Piotr I. Tschaikowski eingerichtet und instrumentiert von Kurt-Heinz Stolze. Musikalische Leitung: Johannes Witt. Einstudierung Reid Anderson, Lukas Gaudernak, Jean Christoph Lesage. 53. Aufführung am 23. Dezember 2021. In derselben Besetzung noch einmal am 28.12.2021.
Vorgesehen sind weitere Vorstellungen in wechselnder Besetzung: 29.12.2021. 4., 7., 11. Jänner 2022.
Abschiedsvorstellung: Am 11. Jänner wird die Erste Solotänzerin Nina Poláková, die die Compagnie verlassen hat, um Ballettchefin am slowakischen Nationaltheater in Bratislava zu werden, noch einmal ihre Lieblingsrolle, Tatjana im Ballett "Onegin", für das Publikum in Wien tanzen.
Fotos: Ashley Taylor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor