Tanz*Hotel: AAR, Artist At Resort, Werkschau
Es ist die 19. Werkschau, die Bert Gstettner in seinem Tanz*Hotel vor Publikum zeigt. Die Tänzerin, Choreografin und Master-Studentin der Kunsttherapie, Veronika Kulcsar und Nina Sandino, Performerin und Architektin, zeigen je eine Soloarbeit, die Tänzerinnen Farah Deen und Olivia Mitterhuemer treten im Duo auf. Premiere der Werkschau, AAR Term 19, war am 28. Oktober im Tanz*Hotel.
„Friend.Shift“ heißt das von Farah Deen und Olivia Mitterhuemer erarbeitete Tanzstück. Tatsächlich sind die beiden freischaffenden Tänzerinnen aus Salzburg schon lange befreundet und widmen sich vor allem der Verbreitung von Hip-Hop und House-Dance auf der Bühne. Wie amüsant und spannend es ist, einer perfekten House-Dance-Aufführung zuzuschauen, zeigen sie im Tanz*Hotel mit ihrem Duett. Wellenartige Bewegungen des Oberkörpers und exakte Fußarbeit im Rhythmus des elektronischen Beats, und bald wird auch der Titel verständlich, „Freundin.Veränderung, Verschiebung“. Synchron und gespiegelt, oder jede für sich geben sie sich dem hämmernden Beat hin, sprechen miteinander mit Füßen und Händen, kommunizieren freudig miteinander, werfen sich Blicke zu, lächeln einander an und übertragen die Freude am Tanz auf das Publikum. Wie eben erfunden wirken die vorgeschriebenen Bewegungen des House-Dance, nahtlos verschmelzen die eigenen Improvisationen damit. Farah Deen und Olivia Mitterhuemer, zwei Künstlerinnen, die wissen, was sie tun und das auch können.
Wie Deen und Mitterhuemer ist auch Veronika Kulcsar keine Debütantin im Metier. Sie tanzt und choreografiert und unterrichtet, für sie ist „Kunst kein Ding, sondern ein Weg.“ Auch ein Weg nach innen und diesen Weg von innen nach außen und wieder zurück zeigt sie in ihrem Solo „Finding (a) Truth“. Mühsam ist für die Person das Verlassen des sie umschließenden Kokons, ein bis an die Decke reichendes durchscheinendes Zelt aus Kunststoff und die körpernahe Hülle ebenfalls aus vielen Metern raschelndem, glatten Plastik (ganz sicher recyclebar). Endlich herausgekommen, nützt sie den gesamten Bühnenraum, um mit weitausholenden Bewegungen der Arme, dem biegsamen Körper und flinker Fußarbeit zu tanzen. So schnell sie sich auch dreht, Kulcsar hat perfekte Bodenhaftung, in diesem zweiten Teil der Aufführung sind die Füße nicht nur Basis, sondern auch Ausgangspunkt des Tanzes. Die Musik verändert sich, auch das Licht verliert seine Strahlkraft und die Tänzerin kehrt wieder nach Innen zurück, geht zu Boden und tanzt nun horizontal, bis sie das schützende Zelte wieder erreicht hat.
Die klopfenden Rhythmen, die Kulcsars Bewegungen im 2. Teil begleiten, ja hervorrufen, stammen von der Cellistin Emma Caterinicchio, die nicht nur die Saiten streicht, sondern auch auf den Corpus klopft. Die Tänzerin hat die Musikerin noch nie gesehen und auch der Komponist, Victor Morato Ribera, ist eine Facebook-Bekanntschaft. Kulcsar hat sie gefunden, als sie nach einer geeigneten Musik für ihre Performance gesucht hat. Der Spanier Morato Ribera lebt zurzeit in Graz, Caterinicchio in den USA.
Mit ihrer Musik waren sie auch im Tanz*Hotel in Wien anwesend.
Im Studio 2 hat Nina Sandino die Installation für ihr Stück „How Many Layers / Wie viele Schichten?“ vorbereitet. Bunte Kleidungsstücke sind zu einem Wandteppich verarbeitet, um ein dehnbares Gehäuse liegen ebenfalls Stücke aus Stoff und aus der Ecke im Hintergrund kriecht eine unter bunten Tüchern verborgene Gestalt. Fetzenpuppe? Hexe? Zauberin? Alles in einem vermutlich. Die Musik zu ihren Bewegungen (kriechen, wippen, gehen im Rhythmus …) macht neben der Komponistin Ragnheiōur Erla auch die elektrische Nähmaschine, die surrend in der Ecke steht. Nina Sandino kommt aus Nicaragua und hat an der MUK in Wien zeitgenössische Tanzpädagogik studiert. Schade, dass sie als Tänzerin ihren Körper samt dem Kopf durch ungezählten Stoffstücke unsichtbar gemacht hat. Doch die Tänzerin interessiert sich in diesem Stück weniger für die Bewegungskunst als für ihr Statement: Ihr geht es um Fürsorge und Achtsamkeit, um Entschleunigung, was sie über das Nachdenken über unseren Konsum an Kleidungsstücken, die wir kaufen, um sie bald wieder zu entsorgen, klar machen will. Denn, so meint sie, gehen wir mit unserer Kleidung sorgsam um, werden wir auch mit der Umwelt und der Gemeinschaft sorgsamer umgehen. Sie erzählt über Stoffe und Strukturen und lädt das Publikum ein, mit ihr zu forschen und nachzudenken. Sie tritt mehr als Mahnerin denn als Tänzerin auf.
Was Bert Gstettner, Mentor, Choreograf und Tänzer, sowie Gründer der Formation Tanz*Hotel, das eigentlich kein Ort, sondern Idee und Aufgabe ist, über AAR zu sagen hat: „AAR ist ein erfolgreiches Residence/ Coaching/ Mentoringprojekt, bei dem KünstlerInnen aus den Bereichen Tanz, Choreografie und Performance von Bert Gstettner künstlerisch und choreografisch begleitet werden. In einem wochenlangen Prozess werden neue Choreografien/Performances von den ResidentInnen ausgearbeitet. Die finalen Showings im Arbeitsraum bilden den Abschluss der Projekte.“
AAR Term 19, Werkschau.
„Finding (a) Truth“: Konzept, Tanz, Choreografie Veronika Kulcsar. Musik: Victor Morato Ribera, Emma Caterinicchio.
„How Many Layers?“: Konzept, Performance, Installation Nina Sandino. Musik und Voiceover: Ragnheiōur Erla; Textil-Expertin: Manora Auersperg.
„Friend.Shift“: Konzept, Chorografie Farah Deen, Olivia Mitterhuemer. Musik Fényan Vril, Isolée; Musikschnitt: Andres Waldimirow.
Technische Leitung, Licht Alexander Wanko. Fotos © Martina Stapf.
Vorstellungen. 28. bis 30. Oktober 2021, 19.30 Uhr. Tanz*Hotel
Eine Videodokumentation der drei Werke wird am 4.11.2021 um 18 Uhr Online gestellt und ist bis 7.11.2021, 12 Uhr auf Vimeo zu sehen.