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„Der Besuch vom kleinen Tod“, Wien modern

Die Schwäne begleiten Elisewin und den Tod.

Bei Nähe besehen ist der Tod ein freundliches Männche, das die Menschen abholen will, weil ihre Zeit auf Erden abgelaufen ist. Die belgische Autorin Kitty Crowther erzählt in einem Bilderbuch vom netten „kleinen Tod“; Komponist Klaus Lang hat die Geschichte in märchenhafte Musik verwandelt, als Produktion von Netzzeit wird „Der Besuch vom kleinen Tod“ im Programm von Wien Modern, Festival für zeitgenössische Musik, im Dschungel aufgeführt.
Ein erfolgreicher Beweis, dass auch mit Kindern über den Tod gesprochen werden kann.

Elisewin (Jasmin Steffl) zeigt dem kleinen Tod (Rino Indiono), dass auch der Tod zwei Gesichter hat, neben  dem traurigen auch ein lachendes.Im schwarzen Kapuzenmantel, die Sense geschultert, sucht der kleine Tod (Rino Indiono) mit dem Stadtplan in der Hand nach der richtigen Adresse. Ein sehr alter Mann (Michael Welz) soll abgeholt werden. Schüchtern nähert sich der kleine Tod, doch der alte Mann fürchtet sich, will nicht mitgehen, obwohl ihn er Tod so liebevoll führt, mit ihm im Boot über den Fluss, den die alten Griechen Lethe, Fluss des Vergessens, genannt haben, rudert und ihm in seinem Palast heißen Tee serviert. Erst danach öffnet er das Tor in die andere Welt, zu der er selbst keinen Zugang hat. Dass niemand mit ihm sprechen will, ihn gar niemand sehen will und sich so viele vor ihm fürchten, kränkt den kleinen Tod, macht ihn traurig und einsam. Auch die Bootsfahrt mit dem Tod über den Fluss des Vergessens ist für Elisewin ein aufregendes Abenteuer und kein Grund zur Traurigkeit.
Dann aber soll er das kranke Mädchen Elisewin (Jasmin Steffl) abholen und erlebt eine Überraschung. Elisewin freut sich über sein Kommen: „Endlich befreist du mich von meinen Schmerzen“ und hüpft fröhlich hinter ihm her. Elisewin ist fröhlich, fantasievoll, abenteuerlustig und steckt voller Schabernack. Bald übernimmt sie die Führung, und der kleine Tod lernt zu spielen und zu tanzen. Doch auch sie muss durch das goldene Tor gehen, und wieder ist der kleine Tod allein. Doch Elisewin darf zurückkehren, als lächelnder Engel begleitet sie von nun an den Tod, und wenn sie als erste am Bett der Kranken und Alten erscheint, fürchten die sich nicht mehr vor dem Tod und gehen gerne mit ihm.
Das Netzzeit-Team, Michael Scheidl Inszenierung, Um die schmerzgeplagte Elisewin aus dem Diesseits zu führen, braucht der Tod keine Überredungskünste. Sie ist es, die darauf drängt, Abschied zu nehmen. Nora Scheidl Bühne und Kostüme, hat das hinreißend illustrierte Kinderbuch in Szene gesetzt, Klaus Lang hat die Bilder in Musik verwandelt. Den beiden Hauptfiguren gibt er unterschiedliche Instrumente mit, hohe, lustig perlende Flötentöne begleiten Elisewin; dumpf brummende Posaunen den kleinen Tod. Die Musiker:innen des bewährten Ensembles PHACE sitzen hinter dem Publikum und schaffen einen atmosphärisch dichten Raum, anheimelnd, nur ganz selten ein wenig bedrohlich. Mit mehreren Schichten aus Vorhängen, die rauf und runter gezogen werden, hat Nora Scheidl die kleine Bühne im Dschungel überraschend vergrößert und die unterschiedlichen Räume geschaffen. Früher ist der kleine Tod ohne die geflügelte, fröhliche Begleiterin gekommen und hat, ohne es zu wollen, dem alten Mann (Michael Welz) Furcht und Schrecken eingejagt. Da fürchten sich dann auch die Schwäne.Die beiden schwarzen Schwäne, die im Buch das Boot begleiten, sind weiß geworden und dienen als Erzähler. Sie werden vom Wiener Schauspieler Florian Haslinger geschickt geführt und gesprochen. Auf dem linken Arm sitzt der Dumme, der dauernd Fragen stellt, weil er nicht ganz kapiert, was da passiert zwischen irdischem Bett und himmlischen Palast; auf dem rechten Arm schnäbelt der Kluge alle Antworten. Den erzählenden Buchtext hat Michael Scheidl in ein Gespräch gewandelt, das den jungen Zuschauer:innen hilft, der Geschichte zu folgen.
Elisewin begleitet den Tod, und der hat seinen Schrecken verloren. Jetzt freut sich auch der alte Mann, dass er endlich gehen darf. Elisewin Jasmin Steffl und kleiner Tod Rino Indiono agieren ohne Stimme, doch ihre Körper, die Arme, Hände und Beine und die ausdrucksvolle Mimik sprechen eine deutliche Sprache. Lustig springt Elisewin im rosa Pyjama umher und zeigt dem Tod, dass er auch ein lachendes Gesicht haben kann. Der Tänzer Rino Indiono ist ein zierlicher, schüchterner kleiner Tod mit traurigem weiß geschminkten Gesicht und vorsichtigen Bewegungen. Es ist ein Vergnügen, der Tänzerin und dem Tänzer bei ihrer Interaktion zuzusehen und darüber nachzudenken, woher die Furcht vor dem Tod kommt. Es gibt keine Hölle, die ist nämlich auch nur ein Kaminfeuer, entfacht, damit nach der langen Bootsfahrt niemand frieren muss. Nach der konzertanten Eröffnung des Festivals Wien Modern am 30.11. im Wiener Konzerthaus, eröffnet „Der Besuch vom kleinen Tod“ das Musiktheater- und -performanceprogramm im Dschungel Wien. Eine sehens- und hörenswerte Aufführung für jede Altersstufe.

„Der Besuch vom kleinen Tod“, Netzzeit in Koproduktion mit Wien Modern, Uraufführung, 1. November 2021. Dschungel Wien.
Komposition Klaus Lang: Dialogtexte und Inszenierung Michael Scheidl, Bühne & Kostüme Nora Scheidl
Der kleine Tod Rino Indiono; Elisewin Jasmin Steffl; Zwei Schwäne Florian Haslinger, Alter Mann Michael Welz. Orchester PHACE – 2 Flöten, 2 Posaunen, Akkordeon, Schlagzeug, 2 Violinen, Viola, Violoncello, Kontrabass.
Buchvorlage Kitty Crowther: “La visite de Petite Mort”, Verlag: l’école des loisirs, Paris, 2004. Übersetzung aus dem Französischen von Maja von Vogel, Carlsen Verlag, Hamburg, 2011.
Vorstellungen 1. bis 6.11.2021, Dschungel Wien.
Empfohlen ab 6 Jahren.
Fotos: © Nurith Wagner-Strauss