Sasha Waltz: „Körper“ im Tanzquartier
Mit der Choreografie „Körper“, dem ersten Teil einer Trilogie, hat Sasha Waltz die Berliner Schaubühne, in deren Direktorium sie berufen worden war, eröffnet. Eine Sensation. Gut 15 Jahre später zieht zwar der Name der als „wichtigste deutsche Choreografin“ gehandelten Regisseurin das Publikum in die große Halle des Tanzquartiers, doch das umwerfende Erlebnis bleibt aus. Man will halt dabei gewesen sein, um am sehnlich erwarteten Ende zu pfeifen und zu kreischen. Man hat’s gelesen: Sasha Waltz ist eine Ikone.
Der hämmernde Techno-Sound, meist perfekt mit dem wechselnden Licht synchronisiert, trägt deutliche das Etikett der späten 90er Jahre. Noch immer aber gilt „Körper“ (gemessen an den Aufführungszahlen) als erfolgreichstes Stück von Sasha Waltz. Manche meinen, auch ihr bestes. Nach dem Ende ihrer fünfjährigen Direktoriumszeit am Lehniner Platz in Berlin, hat sie 2005 ihre eigene Truppe – „Sasha Waltz and Guests“, quasi ein Programm – gegründet.
Die, so manchen Ehrengast deutlich verwirrende, Sensation ist heute logischerweise nicht mehr nachzuvollziehen. Waltz hatte davor kleine, narrative Stücke geboten, Tanztheater eben. Erstmals zeigte sie mit „Körper“ eine abstrakte große Arbeit, die Tänzer_innen großteils nackt. Das Berliner Publikum hielt den Atem an.
Heute ist das alles, die Abstraktion, die Forschungsarbeit, das unverständliche Dazwischengequatsche oder -gemurmel, das Schreiben an die Wand, die Gruppenbilder und die Vereinzelung und auch die platten Lazzi, Alltag auf der Performancebühne, und daher, weil die Körperforscherin kein Ende findet, etwas ermüdend. Unendlich viele, wunderschöne zugegeben, Bilder fallen Waltz ein, da türmen sich die Nackten im Glaskäfig übereinander, ekliges Gewürm, wie Müll liegen sie als Pakete am Bühnenrand, bilden Linien und Kreise, vereinen sich zur Doppelfigur oder lassen ihre Körperteile versteigern.
Deprimierend und ermüdend. In der Mitte der Bühne ragt eine schwarze Wand auf, das Licht ist fahl, der Ton ahmt Geräusche aus dem Körperinneren nach, ziemlich düster eine Stunde lang. Dann fällt die schwarze Wand um, die Tänzer tanzen ein wenig auf dem hellen Keil in der Bühnenmitte, Pas des 2, de 3, de 4. Gleich wird es wieder dämmerig. Im Hintergrund wird in Malerei und Bewegung an Leonardo da Vinci, Erforscher des menschlichen Körperbaus, erinnert. Zuvor waren schon Hieronymus Bosch und Pieter Bruegel d. A., der ebenfalls das Groteske liebte, gegenwärtig; auch Andrea Mantegna taucht auf, Caravaggio so wie so. Eine wahre Gemäldegalerie. Der Bilder, die Sasha Waltz auf das Publikum loslässt, sind zu viele. Immer wieder muss sie noch eins draufsetzen, das das vorhergehende erschlägt.
Was bleibt ist ein wenig Ekel vor dem eigenen Körper, Niedergeschlagenheit ob der anstrengenden Düsternis der Arbeit, Erschöpfung aber auch Befriedigung wird wach: Gut, jetzt habe ich das auch erledigt.
„Körper“ ist ein historisches Stück, wichtig für das Archiv. Seit Waltz Opern inszeniert und Museen mit raumgreifenden Choreografien eröffnet , kompatibel und schön, hat sie sich von der harten Abstraktion im Dämmerlicht längst wieder abgewandt..
Sasha Waltz and Guests: „Körper“ Österreichische Erstaufführung, 15. usnd 16. Oktober 2015, Tanzquartier