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Sergiu Matis: „Extinction Room (Hopeless.)

Sergiu Matis, Martin Hansen, Manon Parent: Singen für die Vögel. © yako.one

Mit einer Mischung aus Tanz und Vortrag lädt Sergiu Matis gemeinsam mit Manon Parent und Martin Hansen ins Sterbezimmer bedrohter Vogelarten. „Extinction Room (Hopeless.)“ ist in zwei Versionen, für Innen und Außen, entstanden und 2019 in Berlin uraufgeführt worden. Als eine der letzten Vorstellungen im Rahmen des ImPulsTanz Festival ist die ambitionierte Arbeit im ehemaligen Gustinus-Ambrosi-Museum im Augarten zu sehen. Die Freiluftversion gefällt den Verantwortlichen für die Bundesgärten nicht. Sie haben ein imaginäres Verbots-Schild angebracht.

Sergiu Matis ahmt die Bewegungen der Vögel nach. © yako.one

Es zwitschert und fiept, keckert und kräht, pfeift und tiriliert. Die Zuschauer:innen befinden sich mitten im Vogelpark. Drei Vögel, zwei Männchen, ein Weibchen, machen sich zum Abflug bereit, spreizen die Flügel, plustern sich auf, schütteln die Federn, ihr Gesang, das Gackern und Kreischen, Zirpen und Flöten mischt sich mit der Komposition von AGF (Antye Greie) zu einer mehrspurigen Klanginstallation. Die Gruppe folgt den beiden Performern, Sergiu Matis und Martin Hansen, sowie der Performerin Manon Parent, die sich solo oder zu zweit als Vogelmenschen durch die beiden hellen Räume des ehemaligen Museums bewegen. Flammenkopf Bartvogel aus Afrika: Noch nicht auf der roten LIste. © lizenzfrei
Der sensible Fluss im Tanz der Vögel wird durch Textpassagen unterbrochen. Forschungserkenntnisse, Mythen und Märchen über die im Zentrum der zweistündigen Performance stehenden ausgestorbenen Vogelarten fügen dem ästhetischen Teil kognitive Inhalte hinzu. Allzu oft sind zwei unterschiedliche Vorträge gleichzeitig zu hören, die Lautsprecher stehen einander genau gegenüber, Wörter und Sätze fliegen mir um die Ohren, bohren sich ins Gehirn, ohne dass Verständnis möglich ist. Als wäre ein Vogelschwarm in meinem Kopf, piept und fiept, klappert und rauscht es in meinem Kopf. Ich muss den Vogelpark verlassen. Höre noch den wunderbar dreistimmigen Gesang, vernehme Naturlaute, die im Wald und auf der Wiese so gar nicht mehr zu hören sind. Über mehrere Jahrzehnte sind Laute und Klänge der gefährdeten Vogelarten von Forscher:innen an der Cornell University / Ithaka, N.Y. aufgezeichnet und in der Macaulay Library archiviert worden.
Dem in Berlin lebenden rumänischen Choreografen Sergiu Matis gelingt mit der Tanzperformance im ausgeklügelten Klangraum, die Zuschauer- und -hörer:innen direkt ins Sonnengeflecht zu treffen. Bedeutet Klimawandel tatsächlich, dass die Welt verstummen wird?Manon Parent  spricht die Vogelsprache. © yako.one Schon 1962 hat die amerikanische Zoologin und Autorin mit ihrem vieldiskutierten Buch „Silent Spring („Der stumme Frühling“, C.H. Beck 2019.) auf die Zerstörung der Natur durch den Menschen aufmerksam gemacht. Man ist erschrocken und gleich wieder zur Tagesordnung übergegangen.
Im Sterbezimmer der Vögel schafft es Sergiu Matis mit seinem Team, den Genuss, den Tanz und Musik bieten, mit Melancholie zu durchwirken. Ohne dass für das ImPulsTanz Festival ein Motto vorgegeben wäre, ist das Sterben der Natur und der Klimawandel automatisch zum Thema des Festivals 2021 geworden. Begonnen mit Maguy Marins „Umwelt“, einer zeitlosen Performance von 2005 bis zu „Outwitting the Devil“ von Akram Khan, der mit den exzellenten Tänzer:innen bis ins alte Babylon zurückgereist ist, wo vor 4000 Jahren der überhebliche Kraftprotz Gilgamesch an der Natur frevelte, Sergiu Matis ahmt die Gesten der Vögel nach, er spreizt das Gefieder. © yako.oneals er den Zedernwald zerstört hat. Gilgamesch wird von den Göttern bestraft, aktuell brennen die Wälder, überschwemmen kleine Bäche ganze Dörfer, und beide Elemente, Feuer wie Wasser, fordern Menschenleben. Was schert das die Reeder, die noch größer Kreuzfahrtschiffe bauen wollen, oder die Luftfahrtunternehmen, die so lange Kerosin quer über den Erdball blasen werden, solange die Ölquellen noch sprudeln. Und auch unter jenen, die im Vogelpark um den letzten Triller trauern, werden welche sein, die schon den nächsten Urlaub in der Dom Rep oder auf den Malediven geplant haben. Was bleibt, ist die Schönheit und Emotionalität der Performance.

„Extinction Room (Hopeless.)“. Konzept, Choreograafie: Sergiu Maris. Mit: Manon Parent, Sergiu Matis, Martin Hansen. Soundinstallation, Komposition: AGF aka Antye Greie. Text: Philip Ingmann, Sergiu Matis, Mila Pavičevič. Artenforschung: Philip Ingmann. Dramaturgie: Mila Pavičevič. Sound: Ivan Bartsch. Ehemaliges Gustinus-Ambrosi-Museum, im Augarten. 12., 14., 15.8. 2021, im Rahmen von ImPulsTanz.