Malandain Ballet Biarritz: „Marie Antoinette“
Am 13. Februar 2021 wollte Ballettchef und Choreograf Thierry Malandain mit seinem Ballet Biarritz im Festspielhaus Sankt Pölten seine jüngste Kreation, das Ballett „Marie Antoinette“ zeigen. Covid-19 hat’s verhindert, die 80 Minuten von der Hochzeit der Tochter Maria Theresias mit dem französischen Thronfolger, dem späteren König Louis XVI, bis zum Poltern des Fallbeils, können jedoch bis Montagmorgen, 15.2., als Videoaufzeichnung auf festspielhaus.at betrachtet werden. Eine Aufzeichnung gibt nicht wirklich wieder, was der Choreograf zeigen wollte, sie ist weniger für den Genuss des Publikums gedacht als für dessen Information oder für die Ablage im Archiv. Ein Surrogat, dem Atmosphäre, Tiefe und Wärme fehlt.
So mag es nicht verwundern, wenn einen bald die Langeweile und später auch der Ärger fest im Griff gehabt hat. Das sagt natürlich nichts über die Bühnenkreation aus, auch wenn Malandain selbst zugegeben hat, wenig Interesse an der anfangs von seinen Landsleute heiß geliebten Königin aus Österreich gehabt zu haben und daher ursprünglich die Einladung des Direktors des Unternehmens „Château de Versailles Spectacles“, sich über die ehemalige Bewohnerin des Schlosses choreografisch Gedanken zu machen, ablehnen wollte. Immerhin war das Opernhaus in Versailles am Tag der Hochzeit Marie Antoinettes mit dem Dauphin, am 16. Mai 1770, eingeweiht worden, und Malandain hat ein Faible für die Tanzhistorie und auch für Jean Georges Noverre (1727–1810), der den höfischen Tanz erneuert und gegen Perücken und Reifröcke gekämpft hat. Das dramatische Handlungsballett und die Natürlichkeit im Tanz lagen ihm am Herzen. Dass Marie Antoinette ihn an ihren Hof geholt hat, wird jedoch nicht gezeigt, wie überhaupt ihre andere Seite, die Förderung von Kunst und Kultur, ihr Neigung für die Natur und die Landwirtschaft, nicht einmal gestreift wird. Ein Franzose blickt auf eine Frau und sieht nur das Klischee, die tändelnde, vergnügungssüchtige Königin. Damit tut er Marie Antoinette unrecht.
Mein Ärger flammt auf, wenn die Bauern und Bäuerinnen in hübschen, sauberen Kostümen einen Reigen tanzen und mit der Königin vergnügt Blinde Kuh spielen. In Wahrheit standen sie bereits mit Mistgabelnd und Dreschflegeln bewaffnet am Zaun der Gärten von Versailles. Da hat sich dann auch die Liebe der Franzosen zur jungen Königin gewandelt, sie wurde zum Sündenbock für all die Fehler und die Verschwendungssucht des französischen Königshauses erkoren und musste, verachtet und bespuckt, unter der Guillotine sterben. Sie war zur Fremden, zu „Madame Deficit“ geworden, der man alle Schuld auferlegen konnte. Ihr zweiter Sohn, nach dem Tod des älteren Bruders der Thronfolger, wurde im Temple eingesperrt, ist elend, krank und allein zugrunde gegangen. Er ist nur zehn Jahre alt geworden.
Thierry Malandain ist in Wien kein Unbekannter. Mehrmals hat er mit dem Wiener Staatsballett in der Volksoper gearbeitet. Zuletzt hat er mit „Cendrillon“, seine Version des Märchens von Aschenbrödel, Publikum und Kritikerinnen begeistert. Aber auch im Doppelabend „Don Juan“ / „Mozart à deux“ konnte er zeigen, dass er nicht nur ein Show-Choreograf ist, auch wenn er sich selbst, in der Rolle des „letzten Neoklassikers“ als „Fossil
Malandain zeigt einige Stationen im Leben der Königin, die Hochzeit und die verpatzte Hochzeitsnacht, als Ballett im Ballett die anlässlich der Hochzeit aufgeführte Tanzeinlage „Persée“ von Jean-Baptiste Lully, die Geschichte der Enthauptung der Medusa durch Perseus aus der griechischen Mythologie. Dominierend sind höfische Bälle und Vergnügungen, doch auch die Begegnung mit dem schwedischen Botschafter Axel Graf von Fersen, getanzt vom Italiener Raphaël Canet wird gestreift. Auch der Bruder Marie Antoinettes, Joseph II., der angeblich angereist ist, um dem unwissenden König zu erklären, wie Kinder gezeugt werden, tritt auf, herrisch und selbstbewusst von Jeshua Costa interpretiert. Der Italiener hat vier Jahre in der Compagnie von Enrique Gasa Valga am Landestheater Innsbruck getanzt und ist 2018 nach Biarritz gegangen.
Malandain setzt in seinen Choreografien immer die gesamte 22 Tänzer*innen starke Compagnie ein, in der es keine Hierarchie gibt. Dennoch fallen einzelne Tänzer*innen immer wieder in solistischen Rollen auf. So auch Claire Longchamp, die sich als Königin durch Körperhaltung und Gestik vom übrigen Ensemble deutlich abhebt. Ihr Gemahl ist Mikaël Conte, der bereits im Ballet Biarritz Junior getanzt hat. Longchamp und Conte haben schon in Malandains Ballett „La Belle e la Bête“ („Die Schöne und das Biest“) als Paar begeistert. Conte ist ein menschlicher König, immer wieder versucht er, seiner königlichen Gemahlin näher zu kommen. Longchamp hingegen ist eine gewisse Delikatesse nicht abzusprechen, hochmütig und vergnügungssüchtig schwingt sie ihre Tornure, hebt die langen Beine und erinnert in der Gestik an den höfischen Tanz. Gegen ihre Präsenz auf der Bühne wirkt das Getänzel der Hofdamen und -herren etwas eintönig, aufgelockert lediglich durch die schönen, barockisierten Kostüme von Jorge Gallardo (Kostümbildnerin: Véronique Murat), der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet. Bilderrahmen statten nicht nur die Wände des Schlosses aus, sondern werden auch symbolisch eingesetzt, als Gefängnis gleich zu Beginn, als Tisch und Bett, als Fenster und Türen, durch die die Hofgesellschaft quasi von der Wand herabsteigt. Mit riesigen Fächern lässt sich wunderbar spielen, hinter ihnen kann man sich verstecken oder die Königin damit schmücken. Ausstattung und Kostüme geben dem Ballett die richtige höfische Aura und zugleich genügend Raum, um sich zu bewegen.
Auch das Wiener Staatsballett ist unter Manuel Legris bereits in der königlichen Oper von Versailles aufgetreten, ebenfalls mit einer Choreografie über Marie Antoinette. Patrick de Bana hat sie in der Volksoper uraufgeführt, 2011 haben in Versailles abwechselnd Olga Esina und Nina Poláková die Königin, Roman Lazik und Vladimir Shishov den König getanzt. Sowohl de Banas 2016 überarbeitetes Ballett wie auch die 2019 von Tanzlin.z gezeigte Version von Mei Hong Lin, geben eine differenzierteres Bild von Marie Antoinette als die in prächtigen Kostümen steckende Königin Malandains. Mei Hong Lin befasst sich auch weniger mit der stolzen Würdenträgerin als viel mehr mit dem in Versailles gefangenen jungen Mädchen und der an Würde und Bürde reifenden Frau, ihren vielfältigen Interessen und der demütigen Akzeptanz ihres Todes. Malandain löscht die Bilder aus den Rahmen, dunkelt die Bühne ab, schwarzgekleidete Frauen und Männer eilen herbei, tanzen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die Königin mitten unter ihnen. Aufrecht steht das Königspaar unter dem Spot, wenn der Vorhang fällt. Der mitgeschnittene Applaus begleitet den Abspann.
Malandain Ballet Biarritz: „Marie Antoinette“ : Choreogafie : Thierry Malandain. Musik: Josef Haydn, Christoph Willibald Gluck. Bühne und Kostüm: Jorge Gallardo; Licht: François Menou; Kostümbildnerin: Véronique Murat; Bühnenbildner: Frédéric Vadé; Accessoires: Annie Onchalo; Hairstylist: Charlotte Margnoux.
Uraufführung in der Königlichen Oper im Schloss Versailles (Château de Versailles Spectacles) am 29. März 2019. Aufgenommen im Gare du Midi de Biarritz, dem Domizil des Malandain Ballet Biarritz, am 1., 2., 3. Juni 2019.
Das Video ist bis zum 15. Februar 2021, 8 Uhr, abrufbar.
Alle Fotos: © Olivier Houeix