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Chris Haring / Liquid Loft: „The Art Of Seduction"

Bauch rein, Brust heraus, A. Gottfarb in der Männerpose. © Loizenbauer

Posing Project B": Mit Witz und Erotik führt Chris Haring vor, wie man Welt und Partner verführt. Schamloser Flirt zum Playback. Tänzer als Schatten, musikalisch und real, beeindruckende Vexierspiele der Erotik von Liquid Loft. Alles was Chris Haring und seine Formation Liquid Loft ausmacht, ist im Kern vorhanden, die Präzision der Lippensynchronizität – noch ohne persönlichen Speaker als Begleiter, aber genügend klangfreundlich aufgestellte Lautsprecher –, die Stärke des Ausdrucks, die Klarheit des Inhalts, der Raum, aktuell der Säulen-Saal im Odeon, aus Licht, Klang und Bewegung.

Verführung ist Irreführung. Man setzt sich in Pose, will imponieren, modelliert und präsentiert den eigenen Körper, verbiegt und faltet ihn, maskiert und deformiert ihn, formt ihn neu, bis das Begehren erwacht und Eros sich ins Fäustchen lacht. Stephanie Cumming, umwerfende Bühnenpräsenz. Alle Fotos © Chris Haring„Posing Project“ nennt Chris Haring mit seiner Gruppe Liquid Loft die Serie von Aufführungen, die sich mit der Kunst der Selbstdarstellung, des Posierens und Beeindruckens beschäftigt. Im April 2007 wurde der erste Teil, „The Art of Wow“, uraufgeführt. Damals steckten die social media noch in den Kinderschuhen, Facebook war gerade mal drei Jahr alt, Twitter eines.
Die Wiener Aufführungen haben im Semperdepot stattgefunden. Anna Maria Nowak, seit 15 Jahren mit Liquid Loft verbunden. Doch die Uraufführung von „Project B – The Art of Seduction“ war in Venedig, wo diese mit Witz präsentierte Verführungskunst im Juni bei der Tanzbiennale 2007 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet worden ist. Direttore der Biennale Danza 2007 war Ismael Ivo, Gründungsmitglied von ImPulsTanz; in der Jury urteilte mit vielen anderen Andrée Valentin, lange Zeit künstlerische Beraterin des ImPulsTanz Festivals. Liquid Loft hat das Posing Project B eigens für das vorgegebene Thema der Biennale entwickelt: „body & eros“. Darum geht es doch immer.

Der internationale Ruhm von Liquid Loft liegt nicht nur an der präzisen und ernsthaften Arbeit Harings und seines Teams, sondern auch am intelligenten Humor und dem augenzwinkernden Kontakt mit dem Publikum in jeder PerforPosiernen im Licht des persönlichen Spots: Liquid Loft.mance.
In „The Art of Seduction“ wird sogar schamlos geflirtet. Die Tänzerinnen (Stephanie Cumming, Katharina Meves, Anna Maria Nowak) und zwei Tänzer (Luke Baio, Alexander Gottfarb) – damals wie heute – posieren in einem von Gründungsmitglied Andreas Berger kunstvoll gebauten Klangraum und beeindrucken durch die hohe Kunst des Playback-Gesangs. Henry Purcell und Lionel Richie geben die scheinbar harmlosen akustischen Regeln vor, Eisbärfell, Sofa und die Lichtkreise der Spots das optische Ambiente. Mit großer Lust wird entblättert und verhüllt, werden Hüften gerollt und Hinterteile gereckt, Blicke geworfen, Lippen gespitzt, Zungen geschnalzt , nicht vorhandene Bäuche bezeigt, lange Beine gestreckt und von anderen umschlungen, in perfektem Takt gehechelt und gekeucht, gegurrt, geschnurrt und gejapst – bis Eros sein perfides Werk vollenden kann und alle Hemmungen fallen.Katharina Meves bezaubert das Publikum seit 15 Jahren.
Keine berührt den anderen, keiner die andere. Doch es sind nur Schatten an der Wand, die sich im orgiastischen Akt vergnügen. Die Realität, das Tableau vivant, zeigt ein ganz anderes Spiel. Keiner berührt den anderen, jeder ist allein. Irreführung der Verführung.
 Auch nach der Premiere; im Rahmen von ImPulsTanz im Odeon, machte sich die Begeisterung lautstark bemerkbar, und auch Vertreter*innen der Generation, die vor 13 Jahren noch auf der Schulbank gesessen sind, konnten keine Patina an diesem „Posing Project“ finden. Auch die Darsteller*innen, Tänzer*innen von höchstem Niveau, scheinen nicht gealtert zu sein. Huldigung tanzender Körper an Eros: Enger geht's nimmer.
Bei späteren Serien und Projekten war Haring nicht so klar und eindeutig, auf der mit Schaumwolken oder faulendem Obst vollgeräumten Bühne konkurrierten Videos und Bilder der Livekamera mit den Tänzerinnen. Erst im Jubiläumsstück „Blue Moon you saw …“ (Uraufführung am 6. Oktober 2020 im Odeon) hat Chris Haring mit dem Team wieder zu jener präzisen Klarheit und stupenden Schönheit gefunden, die auch „Posing Project B – The Art of Seduction“ auszeichnet.

ImPulsTanz Spezial / 15 Jahre Liquid Loft:
Posing Project B – The Art of Seduction“. Künstlerische Leitung, Choreografie: Chris Haring. Tanz, Choreografie: Luke Baio, Stephanie Cumming, Alexander Gottfarb, Katharina Meves, Anna Maria Nowak. Komposition, Sound: Andreas Berger; Dramaturgie, Lichtdesign: Thomas Jelinek; Bühnengestaltung, künstlerische Begleitung: Aldo Giannotti. Uraufführung: 19. Juni 2007, Biennale di Venezia, Teatro Tese delle Vergini, Venedig. Danach zahlreiche Aufführungen in Europa, China und Korea.
Premiere als [ImPulsTanz Classic] im Odeon am 13. Oktober 2020.
Weitere Vorstellungen. 12., 14., 15., 16. Oktober 2020.