„Hollands Meister“, Rollendebüts in der Volksoper
So wirklich genießen konnte ich an diesem dreiteiligen Abend nur „Skew-Whiff“ von Paul Lightfoot und Sol León. Weniger Freude macht Hans van Manens „Adagio Hammerklavier“. Die acht Paare in Jiři Kyliáns „Symphony of Psalms“, der „Psalmensymphonie“ von Igor Strawinsky, wie das 1978 entstandene Werk gemeinhin und auch bei der Premiere in der Wiener Staatsoper 2019 genannt worden ist, sind alle auch solistisch gefordert, da lassen sich Unsicherheiten leicht erkennen.
Die gute Tradition, zwei Vorstellungen eines Programms hintereinander mit derselben Besetzung zu zeigen, ist gefallen. Es wird gemischt und gemixt, und das bedeutet für die Rollendebütant*innen meistens zu wenig Probenzeit.
Nicht nur, weil „Skew-Whiff“ ein humorvolles, sehr komisches kleines Ballettstückerl zur Musik von Gioachino Rossinis rasanter und heiterer Ouvertüre zu „La Gazza ladra / Die diebische Elster“ ist, das die Laune hebt und auch ein Publikum begeistert, das dem Ballett eher distanziert gegenüber steht, war diese „Schieflage“ (vorgeschlagene Übersetzung von „Skew-Whiff“) der Glanzpunkt des Abends. Das Choreografen-Paar lässt den Tänzern und der Tänzerin viel Freiheit, oder diese nehmen sie sich einfach. Jedenfalls tollen und purzeln Francesco Costa, Andrey Kaydanovskiy und Zsolt Török außer Rand und Band über die Bühne, tapfer bemühte sich Kiyoka Hashimoto diese bestens gelaunten und akrobatischen Affenmännern in Zaum zu halten.
Dass Costa nach einem Jahr Pause wieder und als Solist im Wiener Staatsballett tanzt, ist eine große Freude. Mit seiner Rolle in „Skew-Whiff“ hat er seinen Stammplatz als akrobatischer, springfreudiger Tänzer zurückerobert. Auch Andrey Kaydanovskiy war in jüngster Zeit kaum auf der Bühne zu sehen, weil er sich seiner erfolgreichen Karriere als Choreograf gewidmet hat. Das tut er auch weiterhin, doch er tanzt auch wieder, und mit welchem Vergnügen, mit welcher Kraft! Zsolt Török macht bei den tänzerisch überaus anspruchsvollen Clownerien eifrig mit, sodass ich kaum sagen kann, wem die Palme gebührt.
Im „Adagio Hammerklavier“ von Hans van Manen, zum Adagio aus Ludwig van Beethovens Sonate Nr. 29 B-Dur konzipiert, seit 1977 im Repertoire des Staatsballetts, haben die erfahrenen Tänzer*innen neue Partner*innen bekommen. Der Unterschied fällt auf. Unsicherheiten, eckige statt fließender Bewegungen, Hektik statt gelassener Ruhe. Nina Poláková, für mich die Adagio-Tänzerin, hat Marcos Menha als Partner bekommen. Der Brasilianer hat nahezu zehn Jahre im Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg getanzt und ist mit Martin Schläpfer als Erster Solotänzer nach Wien übersiedelt. Menha ist ein großer, kräftiger Tänzer, der mühelos die schwierigen Hebefiguren, die van Manen so gern hat, meistert, zumal er in Poláková eine exzellente Partnerin hat.
Ein Rollendebüt im Staatsballett haben auch die Halbsolistin Sonia Dvořák, ebenfalls vom Ballett am Rhein importiert, und der Halbsolist Lourenço Ferreira, der zuletzt in seiner Heimat Portugal im dortigen Nationalballett engagiert war. Die Amerikanerin Dvořák hat mit Roman Lazik getanzt, der als erfahrener und ruhiger Tänzer ihr die anfänglichen Unsicherheiten genommen hat. Ferreira durfte die federleichte Maria Yakovleva halten und heben und ist von den Debütanten am besten mit seinem Part zurechtgekommen.
Dass die Bühnenausstattung für "Adagio Hammerklavier", ein blauer Hintergrund, im untersten Drittel rabenschwarz, nicht aus der Staatsoper, wo zumindest van Manen und Kilyán zu Hause waren und auch „Skew-Whiff“ bisher gezeigt worden ist, übersiedeln konnte, macht sich schmerzhaft bemerkbar. Der im Original zartblaue Hintergrund ist viel zu dunkel, die sanfte Wellenbewegung, als wehte ein leichtes Lüftchen, ist einem Wind gewichen, der ein Wellengekräusel erzeugt, das aber in der linken Ecke hängen bleibt und überaus störend wirkt.
Auch in „Symphony of Psalms“ waren einige Rollendebüts zu sehen, Rebecca Horner etwa (mit Géraud Wielick) oder Fiona McGee (mit Gaetano Signorelli). Auch Masha Tolstunova, nach einem Zwischenspiel im Hamburg Ballett unter John Neumeier, wieder nach Wien zurückgekehrt, hat in der Psalmensymphonie zum ersten Mal getanzt, mit Giovanni Cusin als Partner. Auch für Solotänzerin Claudine Schoch, zuletzt im Ballett am Rhein engagiert, und Partner Marcos Menha war die Rolle neu. Dennoch war der Eindruck dieses sakralen neoklassischen Balletts angenehm harmonisch. Angenehm und erfreulich sind die Sicherheitsmaßnahmen in der Volksoper (und auch in anderen Häusern), gut organisiert, einfach nachzuvollziehen, genügend Personal steht auch bereit und auch genügend Luft im Zuschauerraum, um trotz Maske durchzuatmen. Das Publikum ist diszipliniert, man darf sich sicherer fühlen als in den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Auch das ist Kultur.
„Hollands Meister“ Sol León & Paul Lightfoot, Hans van Manen, Jiři Kylián. Vorletzter Abend für diese Saison am 8. Oktober 2020.
Letzte Vorstellung mit teilweise geänderter Besetzung am 15. Oktober 2020. Wiener Staatsballett in der Volksoper.
Fotos Ashley Taylor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor