Dschungel Wien: Doppelabend zur Saisoneröffnung
„Für "Tohuwabohu“ und „The Return of Ishtar“, haben die Gruppen Dschungel Wien gewäht um die Uraufführung zu zeigen. Zugleich feiert Dschungel mit dem Doppelabend den Beginn der Saison 2020/21. Die künstlerischen /kaufmännischen Leiterinnen, Corinne Eckenstein und Alexandra Hutter freuen sich über den Starten ihrer fünften Saison, nicht nur über die beiden gelungen mit dem Dschungel Wien produzierten Gastspiele von DasCollectif und Lovefuckers, sondern auch über den lauen Abend, der, wie es scheint, der letzte in diesem Jahr war. Die Atmosphäre des Dschungel lockt auch zahlreiche Gäste an die Tische des Cafés, die Stimmung im Saal und vor der Tür könnte nicht fröhlicher sein.
Ein „tönendes Tanzstück“ bietet DasCollectif, diesmal bestehend aus fünf jungen Tänzerinnen, die zum Großteil in Salzburg am Mozarteum ausgebildet worden sind und in Österreich oder Deutschland leben. Die Choreografin, Irina Pauls, lebt in Leipzig. Sie hat mit den Fünfen ein heiteres, bei genauem Hinsehen auch wohlgeordnetes „Tohuwabohu“ einstudiert. Schließlich gibt es das Chaos nur, wenn es auch eine Ordnung gibt. Das Chaos zu inszenieren, ist im Grunde unmöglich – es wird immer zur Ordnung. Die bestens ausgebildeten Künstlerinnen finden sich auf ihren Wegen und mit ihren exakten, über und mit der Musik tanzenden Bewegungen bestens zurecht. Möglich, dass die Verwirrung, das Tohuwabohu in den Köpfen der fünf Mädchen, die die Tänzerinnen darstellen, ist. Sie tanzen alleine, jede mit der Musik, elektronisch und live selbst erzeugte, mit Viola und Ziehharmonika, Hackbrett, Melodica und Trompete, und natürlich mit den Stimmbändern. Im Sologesang brilliert die Sopranistin und Performerin aus Hannover Johanna von Bibra, deren Interesse der Verbindung von zeitgenössischem Tanz mit vocal art perfomance gilt.
Das lockere, schwungvolle Chaos ordnet sich, die Ordnung zerfällt wieder, jede tanzt ihre eigenen Kreise, hüpft, springt, friert ein, wenn die Musik abbricht, strahlt Energie und Spielfreude aus, und sie alle sprechen, singen und reimen über ihre Teenager-Sorgen, bis sich herausstellt, dass jede ähnliche hat. Niemand lädt sie ein, ins Freundebuch zu schreiben. Wer kennt diese oft eingebildeten Kränkungen nicht!
Am Ende ist das Tohuwabohu beseitigt, die Tänzerinnen finden in die Ordnung und auch in eine Melodie. Licht aus, Chaos aus, heftiger, lang anhaltender Applaus, glückliches Team von DasCollectif.
Lovefuckers nennt sich die Performance-Gruppe aus Berlin, die sich im Rahmen des deutschen Unterstützungsprojekts für Kooperationen im Theater (eine freie Gruppe, zwei feste Häuser, wovon eines nicht in Deutschland sein muss) den Dschungel Wien als Reiseziel ausgesucht hat. „The Return of Ishtar – Eine andere Welt ist möglich“ nennen sie ihren Aufruf der Frauen zum Widerstand. Die Dominanz der Männer gehört gebrochen. Für Ishtar, der einst in Mesopotamien verehrten Göttin, gibt es keine Geschlechterunterschiede. Sie selbst ist eine wandelbare Figur, Frau und Mann, Mensch und Tier, gut und böse. Die beiden Seiten dieser versunkenen Göttin sind auf der aufwändig gestalteten Bühne von drei Performerinnen, die in unterschiedliche Rollen schlüpfen und Puppen als Hilfe einsetzen, dargestellt, Ishtar selbst erscheint, aus vergoldeten Kunststoffstreifen geflochten, als überlebensgroße Figur. Ob sich allerdings die bundesdeutsche terroristische Vereinigung RAF, die für mehr als 30 Morde in den 1970er Jahren verantwortlich ist, als Vorbild eignet, bezweifle ich. Überdies, 13jährige, für die die Aufführung empfohlen ist, und vermutlich auch deren Eltern werden kaum wissen, wer diese Rote Armee Fraktion war und was die Absicht war. Ich erinnere an das großartige Projekt „Medeas Töchter“, das neben Online- und Freiluftvorstellungen im Juni auch als Offline-Vorstellung zu sehen war. Auch die fünf Performerinnen riefen damals dazu auf, dass Frauen sich „hochducken“ sollten, von Gewalt war keine Rede.
Gefördert vom Fonds „Doppelpass“, sind die Lovefuckers gemeinsam mit tjg Dresden (Theater Junge Generation) im thematischen Rahmen von „Formen des Widerstands – explizit jung“ aufgetreten. Die Lovefuckers arbeiten mit unterschiedlichen Techniken, analog und digital, binauralen Soundsystemen (geeignet vor allem für die Übertragung mit Hilfe von Kopfhörern), Puppen und Performance und reichlich Material auf der Bühne, das ebenfalls vielseitig (Dekoration und Kostüme) verwendet werden kann.
Saisoneröffnung mit zwei Uraufführungen im Dschungel Wien 24. September 2020:
DasCollectif und Dschungel Wien „Tohuwabohu“. Inszenierung, Choreografie: Irina Pauls. Raum, Kostüme: Ragna Heiny; Musik: Elina Lautamäki, Sara Wilnauer, Dominik Leiter und DasCollectif; Licht: Christopher Corsmann. Performance: Johanna von Bibra, Magdalena Eidenhammer, Alina Reißmann, Sara Wilnauer, Viktoria Wirth. 6+
Lovefuckers, Dschungel Wien & TJg: „The Return of Ishtar – Eine andere Welt ist möglich.“ Konzept und Spiel: Anna Menzel, Ivana Sajević, Annemie Twardawa. Regie, Choreografie: Corinne Eckenstein; Bühne, Kostüme, Puppen: Birgit Kellner, Christian Schlechter (Spitzwegerich). Puppen: Ivana Sajević, Annemie Twardawa. Musik: Manfred Engelmayr; Licht: Hannes Röbisch. 13+.
Die erste Produktion des Projekts „Formen des Widerstands – explizit jung“, gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes. 13+