Deborah Hay zu Gast im Tanzquartier
Mit ihrem Solo „my body, … revisited“ macht Deborah Hay, eine der einflussreichsten Tänzerinnen und Choreografinnen des amerikanische postmodern dance, klar, dass einmal Tänzerin immer Tänzerin bedeutet. Die Jahre, bei Hay sind es 79, spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Mit ihrer Choreografin und Lehrerin können die vier jungen Tänzerinnen und der Tänzer in „Animals on the Beach“ nicht konkurrieren. Im gut besuchten Tanzquartier / Halle G beobachtete das Publikum geduldig die spröden, stoisch ausgeführten Bewegungen. Dankt dem Quintett am Ende artig, spendet auch der weithin verehrten Solistin eher verhaltenen Applaus.
Deborah Hay hat in den 1960ern bei Merce Cunningham getanzt, war 1962 im Gründungsteam des experimentellen Judson Dance Theater in Manhattan, wo sie mit Trisha Brown, Lucinda Childs oder Yvonne Rainer die Avantgarde des postmodernen Tanzes in den USA bildete. Auch Steve Paxton war als Gründungsmitglied dabei, dazu gesellten sich bildende Künstler wie Robert Rauschenberg, und Musiker gehörten ebenfalls dem Kollektiv an. Hay war wenig interessiert, Choreografien auf die Bühne zu bringen, lieber gab sie Workshops und arbeitete sie prozessorientiert mit Laien. Erst im neuen Jahrhundert fand sie Geschmack am Bühnentanz, zeigt ihre Prozesse mit renommierten Tänzer*innen.
Zuerst aber demonstriert sie ihr Vokabular alleine und beherrscht den weiß ausgeschlagenen Bühnenraum, auch wenn sie nur mit vorsichtigen Schritten trippelt. Als wäre ein Raster über den Körper gelegt, untersucht und demonstriert sie, bei der gefurchten Stirn beginnend, das Vokabular des Tanzkörpers, als würde sie ihn eben erst kennenlernen. Doch er wird nur neu besucht – revisited. Also schon längst vorhanden. Wir blicken zurück, das junge Publikum bekommt eine Ahnung von den Wurzeln des zeitgenössischen Tanzes. Vielleicht verstehen sie dann, dass heute diese Bewegungsübungen und Untersuchungen der Muskeln und Gelenke, die vom tänzerischen Nachwuchs mitunter statt einer gestalteten Vorstellung auf der Bühne präsentiert werden, aus der Zeit gefallen sind und mit ihren individuellen Körpern nichts zu tun haben. Wie der Körper reagiert und funktioniert, haben sie hoffentlich in der Ausbildung erfahren. Bei Deborah Hay allerdings sehen diese anfangs recht zaghaften Demonstrationen elegant und authentisch aus. Im Lauf der 20 Minuten, die sie für ihr Solo benötigt, werden die Bewegungen immer freier, raumgreifender, mit mädchenhafter oder auch krächzender Stimme beginnt sie, während sie die Bühne quert, selbstvergessen zu summen, singt auch in einer nicht zu identifizierenden Sprache. Und ehe man sich‘s versieht, gleitet sie dem Ausgang zu, während die „Tiere“ aus dem Hintergrund den Strand bevölkern.
In Interviews betont Hay gerne, dass sie weniger an der Choreografie oder an den Bewegungen interessiert sei, sondern an den Personen, die tanzen und an den Beziehungen, die ihr Tanz schafft. Davon ist allerdings bei dem im Tanzquartier aufgetretenen Ensemble nichts zu bemerken. Stur und nahezu mechanisch wiederholen sie die Bewegungen, die Hay gerade zuvor als die ihren gezeigt hat. Dem Titel des Stückes, „Tiere am Strand“, allerdings werden sie gerecht, staksen mit steifen Beinen über die Bühne, biegen ihren Oberkörper fast zu Boden, legen die Köpfe schief und haben die Arme, bewegen die Finger wie Federn. Bei Hay sah das alles authentisch und direkt aus dem Körper geboren aus, die Bewegungen der Gruppe scheinen eher automatisch denn individuell, die fünf Tanzenden wirken unbeteiligt. Struktur ist keine zu erkennen, doch sie muss vorhanden sein, denn von Zeit zu Zeit treffen die Tänzerinnen und der Tänzer zusammen, formieren eine Linie, queren hintereinander die Bühne, bewegen sich synchron, machen gemeinsam eine Pause. Dann driften sie wieder auseinander, bewegen sich ganz für sich. In Abständen ist dumpfes Donnergrollen zu hören, das sich einmal zu einem regelrechen Soundgewitter zusammenballt, ein kurzes Blackout, dann ist alles wie zuvor, unberührt schreiten sich die fünf vogelartig in der Stille. Bis sie nach einer knappen Stunde ebenso leise und wie zufällig verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. „Endlich“ sollte ich hinzufügen, denn die kühe Atmosphäre, der mangelnde Kontakt zum Publikum der unbeteiligt scheinenden Tänzerinnen werden allmählich langweilig.
Mit „“mey choreographed body … revisited“ hat Deborah Hay Erinnerungen wachgerufen, oder einer viel jüngeren Generation etwas gezeigt, was einmalig wichtig war und 60 Jahre danach noch sehenswert ist. Um zu erfahren, wie alles begonnen hat. Was bei Hay verspielt und leicht wirkt, geht dem Gruppenstück vollständig ab. Für die schematischen Bewegungsabläufe in „Animals on the Beach“ würden 20 Minuten reichen, dann ist alles ausgereizt. Dass die Tänzerinnen und der Tänzer ihre Körper beherrschen, mehrheitlich ausgezeichnet worden sind und wo immer sie auftreten, beste Kritiken erhalten, sollte nicht eigens erwähnt werden müssen.
Deborah Hay: „my choreographed body … revisited & „Animals on the Beach“. Choreografie: Deborah Hay. Lichtdesign: Jiv Wagner. Sounddesign für „Animals on the Beach“: Mattef Kuhlmey. Mit Michelle Boulé, Jeanine Durning, Vera Nevanlinna, Tilman O’Donell, Ros Warby. 28. und 29. Februar 2020, Tanzquartier.
Fotos: © Camille Blake.