Peter Pan weiterhin im Höhenflug
Schon mehr als 100 Jahre tummelt sich der Träumer Peter Pan in den Kinderzimmern und in sämtlichen Formen der darstellenden und bildnerischen Kunst, gefilmt, gezeichnet oder leibhaftig, analog oder digitalisiert. Peter Pan bedarf eigentlich keiner Verjüngungskur, und hat diese doch erlebt: als Ballettstar heuer an der Volksoper. Die multimediale Vorstellung mit einer Choreografie von Vesna Orlic und einer großartigen Musikauswahl ist ein Publikumsmagnet, auch die Vormittagsvorstellung am 17. Juli für Schulen war ausverkauft.
Mucksmäuschenstill war es während der Vorstellung, gebannt folgten Schüler*innen und auch Vorschüler*innen dem abwechslungsreichen Geschehen. Als wahrer Orkan brandete zum Finale der Applaus auf die Bühne. Nicht nur die Tänzer*innen des Wiener Staatsballetts in der Volksoper würdigten die jungen Gäste, sondern auch den Dirigenten Wolfram-Maria Märtig, der das Publikum mit dem Volksopern Orchester mit einem wahren Klangrausch betört hat. Ein Erlebnis, das Ballett und Schauspiel, Kino und Musical zugleich bietet und nicht nur das mit der Geschichte vertraute Publikum direkt ins sagenhafte Nimmerland fliegen lässt.
Keisuke Nejime hat die Titelrolle kreiert, und man kann sich keinen anderen Tänzer vorstellen, der den Jungen, der nicht erwachsen werden will, so perfekt speilt und tänzerisch / akrobatisch meistert. Seine federnden Sprünge, die flinke Beinarbeit und die Haltung des gespannten Körpers, können natürlich Ballettfreunde besser genießen als die jungen Zuschauer*innen, die sich vor allem am verschmitzten Spiel und Nejimes Humor erfreuen. Humor und Lust am Spiel hat Nejime ebenso wie László Benedek bereits in Thierry Malandins Aschenbrödel-Ballett „Cendrillon“ (Premiere in der Volksoper 2016/17) als glatzköpfige Stiefschwestern bewiesen. In der Choreografie von Vesna Orlic hat Benedek die Rolle des Captain Hook kreiert. Er legt diesen Piratenchef als gebrochene, zwiespältige Figur an, lässt in Mimik und Gesten eine ganze Lebensgeschichte aufblitzen und tanzt als einziger im gesamten Neverland-Ensemble auf Spitze. Allerdings nur auf einem Fuß, den hat nämlich neben der Hand auch das Krokodil abgebissen und Hook umhüllt den hölzernen Ersatz mit einem rosa Spitzenschuh. Möglich, dass er eine verkleidete Kapitänin ist und lieber auf dem Laufsteg paradieren würde, als die Piratenhorde zu lenken.
Peters Schatten hat sich mit dem Tänzer Gleb Shilov etwas gewandelt, ist nicht mehr so bedrohlich, eher ein liebevoller, wenn auch schwarzer, Schutzengel seines Herrn. Robert Weithas, der bei der Premiere als akrobatischer Schatten Furore gemacht hat, kann auch bescheiden im Nachthemd als Wendys Bruder John herumhüpfen. Wendy wird in der aktuell besprochenen Vorstellung von Marie-Sarah Drugowitsch mit starker Bühnenpräsenz getanzt. Dominika Kovacs-Galavics ist die eifersüchtige Tinker Bell. Eine verlässliche Tänzerin, seit 2015 Mitglied des Wiener Staatsballetts / Volksoper, die sich gut mit ihren Rollen identifzieren kann.
Beeindruckt hat mich auch das Debüt von Olivia Poropat aus der Jugendtruppe der Ballettakademie als Tigerlily. Eine ebenso elegante wie kräftige junge Tänzerin, die keinerlei Lampenfieber gezeigt hat, eine echt tapfere Tigerlily. Dragos Musat (Rollendebüt) steht ihr als Bruder zur Seite. Eine neue Partnerin hat auch Samuel Colombet als Mr. Darling bekommen: Elena Li ist Mrs. Darling. Gemeinsam geben sie ein überaus elegantes Paar aus den 1950ern ab, das, illuminiert von einem schönen Abend ohne Kinder, unter der Laterne einen perfekten Walzer dreht. So war damals! Eine Nachfeier mitten auf der Straße, Feuer für die Dame, die sich sündig fühlen und Rauchringe in den Himmel blasen möchte. Also, so alt sind ja weder Li noch Colombet. Es macht die von Orlic und Gerald Stocker ausgewählte Musik, die, weil sie großteils tatsächlich Kinomusik ist, solche Bilder hervorruft und das Erlebnis zwar aufregend und spannend, niemals aber fürchterlich macht.
Vesna Orlic: „Peter Pan“, Dirigent: Wolfram-Maria Märtig; Choreografie und Musikkonzept: Vesna Orlic, Gerald C. Stocker; Bühne und Kostüme: Alexandra Burgstaller, Videos: Andreas Ivancsics, Dramaturgie: Monica Rusu. Musik Erich Wolfgang Korngold, Max Steiner, Franz Waxman, und andere.
Mit Keisuke Nejime, Gleb Shilov, László Benedek; Marie-Sarah Drugowitsch, Kristina Ermolenok, Olivia Poropat. 8. Vorstellung am17. Juni 2019. Volksoper.
Fotos von Ashley Taylor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor.
Nächste Vorstellungen: 21., 27. Juni 2019. 5., 8., 15., 20. September 2019.