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Christoph Poschenrieder: „Kind ohne Namen“

Chrsistoph Poschenrieder. Foto: Daniela Agostini © Diogenes Verlag

Mit einem Zitat aus dem berühmten Roman von Jeremias Gotthelf „Die schwarze Spinne“ beginnt Christoph Poschenrieder sein neues Werk, „Kind ohne Namen“. Wie Gotthelf erzählt auch Poschenrieder von verdrängter Kollektivschuld, von den Fremden, die von den Alteingesessenen nicht akzeptiert werden, vom verführerischen Teufel in Menschengestalt und den verschwimmenden Grenzen zwischen Gut und Böse. Gekonnt paraphrasiert er die Elemente aus Gotthelfs romantisch-moralischem Meisterwerk, erschienen 1842.

Irgendein Dorf in deutschen Landen, Symbolbild. Quelle: Quelle-_vinschgau.itEine ungeplante Schwangerschaft zwingt die Studentin Xenia, aus der Stadt in ihr Heimatdorf zurückzukehren und wieder bei ihrer Mutter einzuziehen, auch wenn sie kein besonders kein inniges Verhältnis mit ihr verbindet. Ist doch die strenge Mutter „so eine Art Bürgermeisterin“ im fiktiven Dorf. Engagiert und umtriebig, will sie stets das Gute erzwingen und schafft doch oft das Böse. Als ein paar Flüchtlinge im Dorf einquartiert werden, spaltet sich die Gemeinschaft und Xenia sieht auch bald eine Möglichkeit, einen Vater für ihr Kind zu angeln. Die einen lehnen die verschüchterten Fremden ab, andere sehen durch sie bessere Zukunftsaussichten und Verdienstmöglichkeiten.

Oben auf dem Hügel herrscht der geheimnisvolle Burgherr, der die Fäden in der Hand hält. Er verteilt Geschenke, nicht ohne geforderte Gegenleistungen und hält sich eine sonderbare Schar junger Männer, die im Wald mit Holzgewehren umherrennen, vom deutschen Blut und sauberen Volk schwafeln und mehr wollen, als nur Räuber und Gendarm spielen. Der Burgherr weiß, wie er seine Mannen in Zaum hält oder aufhetzt, auch wie er die Dorfbewohner*innen in jegliche Richtung treiben kann, sie manipuliert, ganz so wie es ihm einfällt. Ein Verführer und Demagoge, der die Macht seines Geldes schamlos und menschenverachtend ausnützt. Er ist der Teufel, der bei Gotthelf als Jäger verkleidet auftritt, und für seine Hilfe ein ungetauftes Kind verlangt. Nur das beherzte Einschreiten von Xenia bereitet dem bösen Spiel ein Ende. Wie die schwarze Spinne bei Gotthelf, wird der Burgherr unschädlich gemacht.  Dorfgründung im Mittelalter (links Bürgermeister und Lehensherr) Quelle: Heidelberger Sachsenspiegel © gemeinfrei

Cover © Diogenes VerlagPoschenrieder lässt Xenia selbst die Geschichte des Dorfes, die auch die ihre ist, erzählen. In einfachen Worten und dem klaren Blick einer jungen Frau, die ihre romantischen Seiten hat und ihre Erinnerungen an den aufregenden Sommer auch magisch vernebelt. Sie sieht die Dorfbewohner, wie sie sind: weder gut noch böse, doch verführbar sind, wenn das gute Geld lockt und gern den Stärkeren und Lauteren folgen. 
Eigenständiges Denken ist nicht nur im Dorf verpönt. Für den Autor ist das Dorf nur eine Metapher für eine Menchengruppe und ihr Verhalten. In der Stadt sind es keine anderen, aber halt mehr Menschen, die der Autor zu beobachten hätte.

Auch in seinem fünften Roman beweist der Mittfünfziger Poschenrieder, der seine Karriere als Journalist und Autor von Dokumentarfilmen begonnen hat, welch großartiger, geistvoller Schriftsteller er ist. So klar er schreibt, so bleiben immer manche Rätsel ungelöst. Diesmal auf jeden Fall der Name des Kindes, den Xenia nicht verraten will.

Christoph Poschenrieder: „Das Kind ohne Namen“, Diogenes 2017. € 22,70.