Zum Hauptinhalt springen

Theodora Bauer: “Chikago“, Roman

Theodora Bauer © Paul Feuersänger / Picus

Nach ihrem Romandebüt – "Das Fell der Tante Meri", ein Familienroman, der zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den 1980er-Jahren spielt ­– geht Theodora Bauer in ihrem zweiten Roman noch einmal 20 Jahre zurück und erzählt von drei jungen burgenländischen Auswanderern, die in Chicago ihr Glück suchen, es aber nicht finden.

Die Schwestern Katica und Anica leben in einem kroatischen Dorf, das nach dem Ersten Weltkrieg im neu geschaffenen Burgenland liegt. Mit Franjo, der sich lieber Feri rufen lässt, besteigen die beiden Waisenkinder das Schiff in die Freiheit und den Wohlstand.

Auswanderer-Museum in Güssing. 3 Fotos © http://www.suedburgenland.info/de/themen/kultur/museensuedburgenland/auswanderermuseum/Eigentlich wollte nur der Feri auswandern, doch als Kathi erkennen muss, dass sie nach einer kurzen Nacht nach dem Dorffest ein Kind von Feri erwartet, beharrt sie darauf, mitzufahren. Um die nötigen Papiere innerhalb von 24 Stunden zu erhalten, vertraut sich Feri einem Verbrecher an, und von da an geht es immer nur bergab. Feri erschießt einen Gendarmen und muss fliehen. Weil er und seine Braut, die das hergerichtete Hochzeitskleid im kleinen Haus neben der Schmiede zurücklassen muss, nicht imstande sind, die schnelle Abreise zu organisieren, opfert sich die ältere Schwester, beschafft sich die Papiere und reist mit. In Chicago findet Feri seinen Bruder, der den dreien anfangs Unterschlupf gewährt. Dann wird Feri und Kathis Sohn geboren, doch die junge Mutter stirbt bei der Geburt. Der ohnehin mehr vom verbotenen Alkohol als von der Arbeit lebende Vater verliert jeden Halt und wird bei einer Demonstration aus Versehen erschossen.

Obwohl Ana ihren Neffen liebt, muss sie ihn fortgeben, die Frau von Feris Bruder nimmt ihn zu sich. Josip wächst mit ihrer Tochter, der gleichaltrigen Cathy auf. Er erfährt nicht, wer seine wirkichen Eltern sind.Aus dem Museum in Güssing. Alles klar?

Als Josip, der in Amerika Joe heißt und später zu Josef wird, dendlich die Wahrheit erfährt, bricht für ihn die Welt zusammen. Das Unglücksrad dreht sich immer schneller und schneller. Und schon muss wieder geflohen werden. Die wortkarge und schicksalsergeben Ana packt „ihren“ Buben und wird wieder ein Schiff besteigen. Es geht zurück ins burgenländische Dorf. Dort sind die beiden nicht willkommen, angeblich war Anicas Mutter eine Zigeunerin, sie und die wesentlich jüngere Kathi waren nur Halbgeschwister. Noch ist die nationalsozialistische Partei in Österreich verboten, aber die arbeitslose männliche Jugend wittert Morgenluft und trainiert ihre Muskeln. Bald brennt das erste Haus.

Bauer erzählt in schlichten Sätzen, als ob „die Ana“ die Geschichte aufgeschrieben hätte. Die junge Autorin versteht es, lebendige Personen handeln (oder auch, wie die Männer, eher träumen und trinken) zu lassen und die Geschichte der so naiv durch die Welt Tappenden spnnend zu erzählen. Ihre Zuneigung gilt offensichtlich der tapferen Anica, die ihr eigenes Glück immer hintanstellt.

Chikao. Adresse in Kittsee / Burgenaldn. © http://www.brettl.at/blog/chicago-im-burgenland/Der Titel des Romans leitet sich von einer Siedlung in Kittsee her, die einen Heimkehrer an Chicago erinnert hat: „Sieht  ja aus wie in Chicago“, rief er aus. Bauer hat genau recherchiert, auch wenn kaum noch Menschen leben, die die Auswanderungswelle der Burgenländer in den 1920er-Jahren erlebt haben oder selbst dabei waren. Im burgenländischen Güssing fand sie die ersten Hinweise und hat auch in Chicago recherchiert. Noch heute leben allein in Chicago und Umgebung etwa 60.000 Amerikaner mit burgenländischen Wurzeln. Ihre Eltern oder Großeltern waren alle Wirtschaftsflüchtlinge. Auch nach dem 2. Weltkrieg gab es eine Auswanderungswelle. In Moschendorf, Šerešlaka im Bezirkg Güssing, findet alljährlich ein Treffen der Auslandsburgenländer/innen statt. Das dortige Weinmuseum ist übrigens von dem aus Amerika in die Heimat seiner Eltern zurückgekehrten Burgenländer Stefan Brehm gegründet worden. 1993 veranstaltete er das erste "Picnic" im Weinmuseum – ein Treffen der Burgenland-Auswanderer.

Zurück zum Roman, der keine Dokumentation, sondern eine erdachte Familienbiografie ist , die zwar auf Fakten beruht, doch auch die Emotionen der Leserinnen wecken will. Auch in Amerika wird das Burgenlnad-Jubiläum gefeiertEin wenig dick aufgetragen scheint mir dennoch das Schicksal von Anica und Katica. Die eine stirbt im Kindbett, die andere opfert sich für die Männer auf, die es ihr nicht danken.
Buchcover © Picus Wie unter Zwang gerät der Sohn, Josip, dem Vater nach, die Tante, Anica, wehrt sich niemals, fügt sich wortlos in ihr Schicksal, auch wenn ihr Liebe und Vertrauen versagt bleibt und ihr ein gewaltsamer Tod beschieden ist. Sogar Christoph, der Bruder Feris, der schon vor ihm ausgewandert ist und bei der Bahn Aufstiegschancen hat, schafft es nicht. Die Wirtschaftskrise und eine Verletzung machen ihn arbeitslos. Das ist mir fast ein bissel zu viel des Unglücks.

Theodora Bauer ist 1990 in Wien geboren und lebt im Burgenland. Sie hat Publizistik und Philosophie studiert und in Anthologien und im Radio publiziert. Ihr erster Roman, „Das Fell der Tante Meri“ ist 2014 erschienen.

Theodora Bauer: „Chikago“, Picus 2017. 250 S. € 22. Auch als Ebook erhältlich.