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Dorota Kobiela / Hugh Welchman: “Loving Vincent”

Boote am Ufer der Oise © Loving Vincent Sp.z.o.o. & Loving Vincent Ltd.

Der polnisch-britische Film „Loving Vincent“ handelt zwar vom Maler Vincent van Gogh (1853–1890), doch der ist bereits ein Jahr tot, wenn die Handlung einsetzt. Diese ist allerdings nur Vorwand für ein Experiment: Aus mehr als 65.000 Einzelbilder haben 125 Künstler ein einziges bewegtes Ölgemälde geschaffen. Van Goghs Farben- und Bilderwelt rollt als unaufhörliche Woge über die Leinwand. Dorota Kobiela und Hugh Welchman haben gemeinsam das Drehbuch verfasst und auch Regie geführt.

Der Breifträger Joseph Roulin.© Loving Vincent Sp.z.o.o. & Loving Vincent Ltd.Die Handlung ist schnell erzählt. Der Briefträger Roulin (dargestellt von Chris O’Dowd, wie alle handelnden Personen ein Bekannter aus sämtlichen van Gogh-Ausstellungen) hat einen Brief, den Vincent kurz vor seinem Tod an seinen Bruder Theo geschrieben hat. Roulins Sohn Armand (Douglas Booth) soll nach Paris reisen, um den Brief zuzustellen. Doch auch Theo ist längst tot und so reist Armand weiter nach Auvers-sur-Oise, dem letzten Aufenthaltsort Vincents. Dort trifft Armand nicht nur Dr. Gachet (Jerome Flynn), sondern auch dessen geheimnisvolle Tochter (Saoirse Ronan), die Wirtin des Gasthauses (Eleanor Tomlinson), in dem Vincent die letzten Wochen gewohnt hat.
Armand erfährt vom Selbstmord des Malers, doch die Version, Vincent habe sich selbst auf einer Wiese in den Bauch geschossen, erscheint ihm nicht glaubhaft. Als hartnäckiger Ermittler versucht er, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Natürlich bleibt das Rätsel um den Tod des Malers ungelöst. Auf der Suche nach Vincent: Armand Roulin Der Breifträger Joseph Roulin.© Loving Vincent Sp.z.o.o. & Loving Vincent Ltd.

Worum es in dem Film aber wirklich geht, ist die Technik, die Malerei und die Animation der Bilder. Gedreht wurde mit realen Darstellern, sodass ein Großteil des Materials, das danach angepinselt worden ist, bereits in wenigen Tagen vorhanden war. Die Welt van Goghs, wie er sie sah, erwacht zum Leben und zieht die Zuschauerinnen mitten hinein. Grün krümmen sich die Zypressen, rot glüht der Sonnenball, tiefblau und geheimnisvoll flimmert der Sternenhimmel. Keine Erwartung wird enttäuscht, auch das Gelb der Sonnenblumen leuchtet wie erwartet. Das weiße Haus bei Nacht, Juni 1890.. © Loving Vincent Sp.z.o.o. & Loving Vincent Ltd.Alles, was van Gogh vor 120 Jahren gemalt hat, ist vorhanden, betäubt die Sinne, vernebelt die Augen. Jede Person ist bis auf die Barthaare bildgetreu, keine Landschaft ist erfunden, jeder wacklige Sessel, die Boote auf der Oise, die vor ihren Gläsern schlafenden Säufer…
Zuviel, zuviel!

Ich sehne mich nach der Ruhe einer Ausstellung, nach statischen Bildern, die beeindrucken, aber sich nicht aufdrängen. So richtig flüssig sind vor allem die Bewegungen der Menschen, die durch bekannte Landschaften und Räume wandeln, nicht gelungen. Es ruckelt und wackelt. Marguerite Gachet,die scheue Tochter des Arztes  © Loving Vincent Sp.z.o.o. & Loving Vincent Ltd.Anderthalb Stunden ist das nur schwer auszuhalten.
Zumal ich annehmen darf, dass an dem Film Interessierte sich auch für die Malerei und van Gogh im speziellen interessieren, die Bilder und seine Biografie bereits kennen.
Wer eine Film-Biografie erwartet, wird enttäuscht sein, denn die Angaben über van Goghs Leben und Werk sind kursorisch. Erholung bieten die Rückblenden, wenn Vincent (Robert Gulaczyk) persönlich auftritt: Sie sind Schwarzweiß.

Dorota Kobiela, die Malerei und Film als ihre „Leidenschaft“ bezeichnet, wollte ursprünglich einen Kurzfilm drehen. Sie hätte es dabei belassen sollen.

„Loving Vincent“, in Öl gemalter Animationsfilm. Drehbuch und Regie: Dorota Kobiela und Hugh Welchman; Kamera: Tristan Oliver, Łukasz Żal. Ab 28. Dezember 2017 im Kino.