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„Antarktika“, ein Symposium im Tanzquartier

Aloys Zötl: Der Gibbon, 1833. © de.wikipedia.org/wiki/Aloys_Zötl

Das Tanzquartier Wien ist mit „Antarktika“, einem dreitägigen „Symposium zum Thema Entfremdung“, durchgeführt in Kooperation mit der Kunsthalle Wien, in die Saison 2018/2019 gestartet. Zugleich ist die Theorieveranstaltung auch Auftakt für „Antarktika. Eine Ausstellung über Entfremdung“ in der Kunsthalle. Ergänzend zeigte das Tanzquartier die Performance „Consul und Meshie“ in der Kunsthalle.

Die durch den Titel assoziierte soziale Kälte gab den Ausgangspunkt für die Untersuchung des Subjektes von Entfremdung, gefolgt von zwei Vorträgen über das Verhältnis von Entfremdung und Arbeit und einer Laborpräsentation über ästhetische Strategien der Verfremdung. Aus der Ausstellung, Ian Wallace: "At the Crosswalk VI",  2008. © Courtesy Hauser & Wirth, Zürich, Foto: Kunsthalle Zürich Nina Power, Dozentin für Philosophie in London, beleuchtete in ihrem gut besuchten Vortrag „Who's the Subject of Alienation“ verschiedenste Aspekte und Perspektiven der Entfremdung, ausgehend vom Entfremdungsbegriff, wie er vor allem von Karl Marx geprägt worden ist. Power untersucht die Entfremdung des zeitgenössischen Subjektes in psychischer, physischer, sozialer, ökonomischer, materiell-dinglicher, politischer, auch metaphysischer Hinsicht auf differenzierte, fundierte Weise. Partiell so überraschend wie durchaus provokant waren die potentiellen Lösungen, die sie diskutierte. Xeno-Feminismus, Wärme als Kategorie zwischenmenschlicher Beziehungen, aber auch im Verhältnis zu sich selbst, Liebe im umfassendsten Sinne als gesellschaftspolitische Strategie sowie die Gnosis als alte, aber wieder zu entdeckende Lehre. Und: „Umarmt die Entfremdung!“ als Aussöhnung mit ihr.

Michael Hirsch, Privatdozent für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Siegen, eröffnete den zweiten Symposiums-Tag mit einem Vortrag zu „Arbeit und Entfremdung“. Ausgehend vom Marxschen Begriff der Entfremdung untersuchte er die aktuelle Relevanz des Entfremdungsbegriffes. Die Grundlage der Entfremdung sieht Hirsch in der kapitalistischen Lohn- und explizit auch Mehrarbeit, die, weil zur Existenzsicherung notwendig, zum das Individuum und sein Selbstverständnis prägenden Moment wird. Konformität und Selbstzurichtung resultieren daraus, Arbeitsteilung im privaten, familiären Bereich wird, Hirschs Auffassung nach, geradezu erzwungen. Rollenbilder wie „der Mann als viel zu viel arbeitender Ernährer“ und „die Frau für Kinder, Haushalt, Familie und Pflege von Angehörigen verantwortlich“ schimmerten immer wieder durch das Gesagte. In der sich anschließenden Diskussion wurde deutliche Kritik nicht nur an diesen Festschreibungen geübt.Antonia Baehr, Latifa Laâaissi, Nadia Lauro: "Consul und Meshie", Performance.  © Luca Ghedini

Über „Einhebungen des Widerspruchs: Bürolandschaft und ihr zeitgenössisches Erbe“ hat danach Andreas Rumpfhuber, Wiener Architekt und Architekturtheoretiker, gesprochen. Er gab eine interessante Beschreibung der historischen und theoretischen Grundlagen für die Entwicklung und Einführung von Großraum-Bürolandschaften in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Deutschland.

Bemerkenswert an den Vorträgen und Diskussionen ist, dass tiefenpsychologische und psychiatrische Erkenntnisse der letzten circa 100 Jahre keinerlei Berücksichtigung gefunden haben, weder bei der Analyse der aktuellen Entfremdungsproblematik noch beim Entwurf möglicher Überwindungs-Szenarien.

"Antarktika, eine Ausstellung über Entfremdung":  Ingel Vaikla Roosenberg Video Still 2017. ©  Courtesy die Kunstlerin Parallel zu den Vorträgen der ersten beiden Tage wurde in der Kunsthalle Wien eine sogenannte „Durational Performance“ gezeigt. Die in Berlin lebende Choreografin, Performerin, Filmemacherin und bildende Künstlerin Antonia Baehr und die 1965 in Grenoble geborene Tänzerin und Performerin Latifa Laâbissi ließen sich von der Geschichte der beiden Schimpansen, Consul und Meshie, die Anfang des 20. Jahrhunderts unter Menschen gelebt haben und sich offenbar erstaunlich gut angepasst haben, inspirieren. In der von Nadia Lauro, einer in Paris lebenden bildenden Künstlerin und Bühnenbildnerin, gestalteten Installation, einer Art offengelegten großen Limousine, auch an ein riesiges Doppelbett mit Rädern erinnernd, bewegen sich die beiden „Affen“, die Gesichter haarig gerahmt, ihre Körper von hautengen, nur die Brüste freigebenden Overalls bedeckt, unverschämt und schamlos von Forschergeist getrieben, sodass die Kategorien Primat und Mensch bald verschwimmen. Die beiden Primaten, die sich als Menschen fühlen, untersuchen Schmerz erzeugend ihre Münder, sticken Parolen; sie zitieren viersprachig populistische Phrasen, um sich am Ende einfach schlafen zu legen. Die knapp dreieinhalb Stunden währende Performance war offen, zum Kommen und Gehen, ausgelegt.

Claudia Bosse präsentierte am letzten Tag der Veranstaltung ihr Labor „Über ästhetische Strategien der Verfremdung“. Vier Tage lang haben Künstler*innen (Abdalla Daif, Barbara Holub, Anne Juren, SophPerformance: Consul und Meshie" . © Nadia Lauro / Tanzquartier.ie Klimis, Lucie Strecker und Yosi Wanunu) unter Bosses Leitung zum Thema Verfremdung geforscht: Methoden, Strategien, variierende Perspektiven und ästhetische Umgehensweisen.

Drei Vorträge unter dem Titel „Beyond Alienation“ beendeten die dreitägige Veranstaltung. Marina Vishmidt, Dozentin in London, Kerstin Stakemeier, Professorin für Kunsttheorie in Nürnberg und Angela Dimitrakaki, Dozentin für zeitgenössische Kunstgeschichte in Edinburgh, waren als Vortragende eingeladen. Die anschließende Publikumsdiskussion bildete das Ende der der Theorie gewidmeten Veranstaltung.
Der Beginn der Praxis folgt wenige Tage danach: Am 11. Oktober zeigt Amanda Piña / nadaprodukctions „Danza y Frontera“, den 4. Teil des Projekts „Endangered Human Movements“, im Tanzquartier / Halle G.

Theorie: „Antarktika. Ein Symposium zum Thema Entfremdung“. Tanzquartier mit Kunsthalle Wien, 4. bis 6. Oktober 2018.
Performance im Rahmen der Veranstaltung:
Antonia Baehr, Latifa Laâbissi & Nadia Lauro: „Consul und Meshie“, 4. und 5. Oktober 2018, Tanzquartier.
„Antarktika, eine Ausstellung über Entfremdung“, Kunsthalle Wien, bis 17.2.1919, täglich 11 bis 19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr.