Eno Peçi: Keine Tanzmaschine, doch ein Choreograf
Ein Tänzer und Choreograf mit Profil. Welche Rolle auch immer Eno Peçi auf der Bühne tanzt, er gibt ihr ein neues Profil. Nach dem stolzen Torero Espada in der Erfolgsserie von „Don Quixote“ in der Staatsoper und dem leicht verrückten doch hochverdächtigen TV-Choreografen in der Volksopernaufführung von „Le Concours“ ist er der Ehemann, der ein Auge auf die hübsche Ballerina geworfen hat. In der dreiteiligen „Hommage an Jerome Robbins“ tanzt und spielt Peçi in „The Concert“ wieder einmal einen pointierten Charakter.
Nur weil der Solotänzer des Wiener Staatsballetts in den komischen Rollen besonders brilliert, will er nicht sagen, dass ihm diese lieber sind. „Ich versuche jeder Rolle eine Persönlichkeit zu geben. Vor allem beim klassischen Ballett, da ist die Technik doch keine Frage mehr, Schritte und Sprünge, 5. Position und Double Tour, das hat man doch alles im Körper. Das ist ja festgeschrieben, immer gleich. Mir kommt es darauf an, diesen Rollen auch ein Profil zu geben.“ So gelingt es Peçi, sogar den düsteren Tybalt in John Crankos „Romeo und Julia“ ein menschliches Antlitz zu verleihen und sein Lenski im Cranko-Ballett „Onegin“ lässt den Zornesausbruch aus Eifersucht ganz verständlich erscheinen. Wenn er den Hausfreund Ulrich in Roland Petits „Fledermaus“ tanzt, dann ist er ein echter Wiener Schlawiner, der mit operettenhafter Leichtigkeit nicht nur die Damenwelt um den Finger wickelt, und auch sein Colonel in MacMillans „Mayerling“ ist kammerspielreif. 2011 also „Der Ehemann“ in „The Concert“, einem überaus komischen Ballett zur Klaviermusik von Frédéric Chopin, vom amerikanischen Choreografen Jerome Robbins 1958 für das New York City Ballet ersonnen.
„Es gibt da keine eigentliche Handlung. Die Situation ist eben vor dem Konzert, wenn die Besucher langsam kommen und ihre Sessel suchen. Alles ist sehr komisch, die verschiedenen Typen von Besuchern werden da als Karikatur gezeichnet. Am Schluss tanzen lauter Schmetterlinge herum, der Pianist verlässt sein Klavier und versucht sie mit dem Netz einzufangen. Wirklich sehr komisch. Ich bin der Ehemann, der von seiner Frau (Franziska Wallner-Hollinek) in dieses Konzert gezerrt wird, es interessiert mich eigentlich gar nicht. Aber dann kommt die Ballerina (Irina Tsymbal) und die interessiert mich sehr.“ Peçi mag es, wenn er in der Rollengestaltung genügend Spielraum hat, was natürlich bei den komischen Rollen eher der Fall ist. So durfte er in Maurice Béjarts Satire „Le Concours“ auch den Text selbst gestalten und sandte dabei stolz einen liebevollen Gruß an seine Tochter Lea. „Monsieur d’At, der Probenleiter, der selbst bei Béjart getanzt hat, hat mir die die Rolle ungefähr geschildert und dann gemeint, ich darf machen was ich will.“ Eno ließ nicht lange bitten und seiner Spielfreude und seinem Witz freien Lauf, wie er es auch immer wieder in Jerome Robbins köstlichem Ballett „Le Concert“ als mordlustiger Ehemann und verliebter Schmetterling tut.
Mit Jerome Robbins Choreografien ist er 2011, wie sicher viele KollegInnen aus der Compagnie, zum ersten Mal in Berührung gekommen. „Das ist schon etwas anderes, ich meine etwas schwungvoller, so wie am Broadway eben. Robbins hat viel für den Broadway choreografiert und inszeniert, jede Menge Musicals. Das spürt man.“ In der dritten Vorstellung der Serie von 2011 überkam Eno Peçi die Leidenschaft, er tanzte an diesem Abend ebenso die komische Partie des Ehemanns, sondern mit Nina Poláková auch den Pas de deux des feurigen Liebespaares im Sextett „In the Night“. Zu Nocturnes von Chopin lässt Robbins drei Paare auftreten, die drei Aggregatzustände der Liebe verkörpern. Zwischen Peçi und Poláková schäumen die Emotionen über, fast möchte man sagen, „es fliegen die Fetzen“. „Aber am Ende ist alles in Ordnung, die Frau kniet vor ihm nieder.“ Ich bin empört. Peçi lacht: „Das ist die Choreografie.“ Er ist in seinem Element, kann er doch mit der Sprache seines Körpers, mit Mimik und Gestik seiner Rolle, die im Programmheft „Tänzer 3“ genannt wird, Leben einhauchen.
Eno Peçi, der seine Ausbildung an der Ballettakademie in Tirana (Albanien) und an der Ballettschule der Wiener Staatsoper erhalten hat und seit 2000 Mitglied der Compagnie und seit 2009 Solotänzer ist, erlebt nun bereits den dritten Ballettchef. „Ja, Renato Zanella, Gyula Harangozó und jetzt Manuel Legris. Der Renato hat mich ja geholt, der hat erkannt, was in mir steckt und versucht, alles heraus zu holen. Bei ihm habe ich meine erste Hauptrolle, Spartacus in seiner Choreografie des gleichnamigen Balletts, getanzt. Das kann ich nicht vergessen. Im Sommer werde ich in einer neuen Choreografie von ihm in Griechenland tanzen, ‚Medea’, zur Musik von Mikis Theodorakis, eine Welturaufführung.“ „Das Festival der Ägäis“ findet alljährlich auf der Insel Syros statt; Zanella ist als künstlerischer Leiter für den Tanz zuständig. Das klingt nach Urlaub. Peçi schüttelt energisch den Kopf:„Meine Frau, Dagmar Kronberger, muss mit der Lea zu Hause bleiben. Die ist noch zu klein. Dort ist es zu heiß im Hochsommer und das Essen … Nein, vielleicht in einem anderen Jahr.“ Peçi ist nicht nur ein liebender, sondern auch ein fürsorglicher Papa. Eine gute Weile später ist auch Enea geboren, ein verschmitzter Bub, den neben Mama und Papa auch die große Schwester umsorgt.
Zurück zum Thema: „Der Gyula, der war gemütlich. Und jetzt Legris! Ich denke jeder Tänzer muss davon träumen mit Manuel Legris zu arbeiten. Er ist immer da und er lässt uns alle tanzen. Da gibt es keine Bevorzugung und wir spüren, dass er für uns das Beste will und an uns glaubt. Er ist das, was ich mir wünsche, ein heutiger, ein moderner Tänzer, selbst wenn er klassische Ballette tanzt. Wir sind alle Künstler, die etwas gestalten wollen und ich möchte auch die klassischen Rollen modern, also heutig zeigen. An den Schritten ist nichts zu ändern, an die Technik muss man auch nicht mehr denken, aber ich bin keine Tanzmaschine.“
Seine Vorstellungen verwirklichen kann Eno Peçi noch vor den Ferien an der Staatsoper: „Am 24. Juni tanze ich mit Liudmila Konovalova den Albrecht in ‚Giselle’.“ Wieder eine Gelegenheit, einen Charakter sehr differenziert, anders als gewohnt anzulegen. „Man muss ja nicht moderne Gewänder anziehen oder andere Schritte machen, man muss nur denken, wie sähe so eine Geschichte heute aus.“ Richtig: Standesunterschiede gibt es immer und Männer, die feige nicht zu ihrer Liebe stehen, auch. „Ich will dem Publikum etwas geben, sei es als lustige Figur oder als Prinz, immer sollen die Leute spüren, dass da Menschen auf der Bühne gezeigt werden, die lebendig sind, mit denen sie etwas zu tun haben könnten. Die klassische Technik ist Basis, aber das genügt nicht, für eine Rolle braucht man Persönlichkeit. Ich kann zwar auch in den klassischen Rollen Persönlichkeit zeigen. Aber ich will mehr.“ Deshalb tut es ihm besonders leid, dass es nicht gelungen ist, Roland Petits Chef d’œuvre „Le jeune homme et la mort“ (zur Musik von J. S. Bach, nach dem Libretto von Jean Cocteau) nach Wien zu holen. „Das würde ich sehr gern tanzen.“ Ein dramatischer und inniger Pas de deux in zwei Akten. Der unglückliche Jüngling tanzt über den Dächern von Paris in den Armen des Todes, der in Frankreich weiblich ist. Wer würde das nicht gerne sehen!
Schon früh hat Peçi zu choreografieren begonnen, zum ersten Mal für einen Abend für Junge Choreografen, veranstaltet vom Ballettclub der Wiener Staatsoper & Volksoper. Dabei arbeitet er völlig frei, ohne Anbindung an die Tradition.
Peçi, als „Spartacus“ (Renato Zanella) oder „Onegin“ (John Cranko) ebenso herausragend wie als „Blaubart“ (Stephan Thoss) oder Espada in „Don Quixote“ (Rudolf Nurejew) und Tybalt in „Romeo und Julia“ (John Cranko), hat das Kreieren von Rollen im Blut. Schon unter Ballettdirektor Renato Zanella schuf er in dessen Choreografien zahlreiche Partien und brillierte vor allem als „Petruschka“ in Zanellas Version des bekannten Strawinsky-Balletts. Jetzt verwirklicht Peçi seine Ideen und hat im Frühjahr 2017 für den von Ballettdirektor Legris gewünschten Strawinsky-Abend „Petruschka“ auf eigene Weise choreografiert und den Wurschtel als hilflosen Lehrer in eine Klasse von ungebärdigen Teenagern gestellt. Den dreigeteilten Abend hat er gemeinsam mit den choreografierenden Compagnie-Mitgliedern András Lukács und Andrey Kaydanovskiy bestritten.
Was Peçi so durch den Kopf geht, liegt ihm auch am Herzen, denn so gerne er den Kasperl spielt und vergnügt voll Mordlust mit dem Dolch in der Hand hinter seiner (Bühnen-)Gattin herschleicht (Jerome Robbins: „The Concert“), so ist der Wiener Tänzer aus Albanien im Grunde ein nachdenklicher, zur Melancholie neigender Mensch. So hat ihn das Elend vieler Mütter beschäftigt, die sich von ihren Kindern trennen müssen. „In so vielen Ländern müssen Eltern ihre Kinder weggeben, weil sie sonst keine Überlebenschance haben. Sie wissen, dass sie einander nie wieder sehen werden.“ Dass auch er in jungen Jahren sein Elternhaus verlassen hat, um in Österreich seine Ballettausbildung zu vollenden und an der Staatsoper Karriere zu machen, hat jedoch keinen Einfluss auf seine choreografischen Ideen. „Ich bin ja freiwillig gekommen und bin so gerne hier.“
Keine Geschichte, aber viel Gefühl. Längst ist Eno Peçi ein echter Wiener, verheiratet mit der Tänzerin Dagmar Kronberger und Vater ihrer Tochter Lea und ihres jüngeren Bruders Enea. Die Tage der Diktatur in seiner Heimat bleiben jedoch immer präsent: „Damals war es wirklich schlimm. Das Land war isoliert, die Eltern konnten ihre Kinder nicht ernähren und mussten sie weggeben, wussten, dass sie sie nie wieder sehen werden. Dieser Schmerz hat mich inspiriert, den will ich ausdrücken. Aber ich möchte jetzt keine Geschichte erzählen. Ich habe so Ideen, die Geschichte kann man sich selber ausdenken.“ Am Anfang gibt es jedenfalls eine „bisschen eine Demo“: Mischa Sosnovschi ist das Kind, das von der Mutter gerissen wird, verstört und desorientiert. Eine letzte zärtliche Umarmung der Mutter (Dagmar Kronberger) lässt die spastischen Bewegungen weich und fließend werden. Eine genaue Rollenzuschreibung gibt es in diesem mal eckig und verkrampft, dann wieder weit ausholend schwingenden Pas de Six nicht. Es geht um Gefühle, die auch in den Zuschauern geweckt werden sollen, um Trost und Gemeinsamkeit, um Trauer und Einsamkeit. Und das Weiterleben – trotz allem. „Herzblume“ heißt diese Kreation, der Name der Zierpflanze dient als Metapher.
Was mehr Freude macht, das Choreografieren oder das Tanzen, kann Peçi nicht entscheiden: „Das sind zwei völlig verschiedene Sachen. Aber natürlich ist es gut, wenn ein Choreograf auch Tanzerfahrung hat, er muss ja wissen, was dem Körper möglich und ihm zuzumuten ist.“ Doch auf den Körper allein kommt es nicht an. Herz und Hirn müssen auch mittanzen.
Choreografien: Auswahl aus der langen Liste mit mehr als 15 Werken, die nicht nur in Wien, sondern auch in vielen anderen Ländern, von Moskau bis Luxemburg, gezeigt worden sind und werden:
- Cut, 2009, Wiener Staatsballett im Rahmen der Veranstaltung des Ballettclubs der Wiener Staatsoper & Volksoper
- Herzblume, 2013, Wiener Staatsballett in der Volksoper
- Exil, 2015, Wiener Staatsballett, Festival Origen Culturall
Opus 25, 2017, Pas de deux mit Maria Yakovleva, kreiert für die Luxembourg-Gala und danach bereits mehrfach aufgeführt, auch bei der Nurejew-Gala 2018 in der Wiener Staatsoper. - Walzer und Galopp für den Wiener Opernball 2018, Wiener Staatsballett.
Eno Peçi: Ein Porträt mit Interviews aus den Jahren 2011, 2013. Erstellt im Juni 2018, ergänzt 2023.
2008 ist Eno Peçi zum Kulturbotschafter seines Geburtslandes, der Republik Albanien ernannt worden. Überdies wurde er zu einem "Ritter des Ordens von Skanderberg" ernannt. Im Dezember 2019 erhielt Eno Peçi das "Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst".
2017 hat er vom Bürgermeister der Hauptstadt von Albanien, Tirana, den Schlüssel der Stadt erhalten. Es ist der höchste Preis, den ein Bürgermeister zu vergeben hat.
Eno Peçi choreografiert auch heuer wieder für das Origen Festival in der Schweiz. Sein Stück "Der letzte Ball" hat am 5. Juli 2018 mit Tänzerinnen und Tänzern des Wiener Staatsballetts Premiere.