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Adriana Cubides: „The Gap in Between“, WUK

Adriana Cubides: "The Gap in Between", interaktiv. © Ulli Koch

Mit ihrer neuen Arbeit „The Gap in Between“ hat die kolumbianisch-österreichische Tänzerin und Choreografin Adriana Cubides einen lang gehegten Wunsch realisiert: eine sehr persönliche Arbeit über Gegebenes, über Strukturen, Gegenwart und Möglichkeiten. Über den „konkreten Moment“, Potenziale und die Freiheit, sich all dem zu entziehen oder sich bewusst zu eigen zu machen. Über Begegnungen mit Unbekannten und die Wirkmacht von Kollaborationen. „Ich erschaffe Mechanismen, in denen alle Beteiligten ‒ Performer, Zuschauer, Licht und Ton – damit konfrontiert werden, zulassen zu müssen, dass die Kontrolle zwischen uns allen liegt“, beschreibt Cubides, die neben ihrer Tanzausbildung an der Bruckner Universität in Linz auch Literatur- und Sprachwissenschaft in Bogotá studierte, im Vorfeld ihre Arbeitsweise an dieser Produktion.

„Dieser Raum außerhalb der Komfortzone“

Das Publikum darf mitspielen. Alle Fotos © Ulli KochNun wurde „The Gap in Between“ an zwei Abenden im Projektraum des Wiener WUK präsentiert. Zwei Abende, die, mit ähnlicher räumlicher Ausgangssituation, unterschiedlicher nicht hätten sein können. Der erste endete, erzählt die Performerin am Ende des zweiten Abends, mit der Einladung an alle Beteiligten, jede und jeden einzelnen, mit ihr die an die Wand gelehnte überdimensionale Leinwand, mit der der Abend begonnen hatte, zu berühren und noch einmal so etwas wie einen Abschied vom Beginn des gemeinsamen mehrstündigen Abends zu nehmen. Der zweite und in dieser ersten Serie auch schon letzte Abend endet mit einem Dialog zwischen Cubides und einer der Teilnehmerinnen, rasch auch zwischen allen verbliebenen Anwesenden, die an diesem ziemlich emotionalen Finale nicht anders können, als sich zu verhalten, ist doch der „Plan“, den es, so Cubides, nicht gegeben hat, der aber schon allein durch die hoch komplexe Licht-Sound-Raum-Objekt-Struktur irgendwie doch in dem allen zu stecken scheint, nicht ganz aufgegangen. Kein Plan ist eben auch ein Plan. Und so wird am Ende einfach getanzt. Und etwas von der Langsamkeit der damit kollektiv beendeten Performance zwischen Konzentration und Abschweifen wieder aufgeholt im wilden Durcheinander der Menschen, die sehend, gehend, manchmal mehr, manchmal weniger im wahrsten Sinne „bewegt“ an diesem Abend jener titelgebenden Kluft beigewohnt haben, die zwischen Performerin und uns, zwischen Objekten, Raum und Interaktion entstanden ist. Oder immer schon da war. Perspektiven verändern, neue Positionen einnehmen.

Perspektiven verändern

Der Abend, zu dem die Besucher*innen in kleineren Gruppen, manche auch einzeln in den durchgehend abgedunkelten und im Laufe der Performance immer wieder an unterschiedlichen Positionen für einen Moment erhellten Raum (Live-Licht: Veronika Mayerböck) kommen, beginnt mit einem Kennenlernen: hier die Schnüre, die in einem undurchschaubaren, aber vorhandenen System an Verbindungslinien im Raum verteilt von den Stangen hängen, dort ein Haufen an nicht zusammengefalteten Kartonschachteln, vom Rand des Raumes kommend die überdimensionale weiße Leinwand von ca. 2 x 3 Metern, die sich langsam in die Mitte des Raumes bewegt, mal nach hier, dann wieder nach da klappt, unter ihr Cubides. In der Mitte des Raumes angekommen, kriecht die Tänzerin unter der schweren weißen Platte hervor, die Augen sind von einer Binde bedeckt, sie bittet um Hilfe, nennt ihren Namen, wünscht sich Partner*innen für ihre nächsten Aktionen, Kollaborateur*innen auf Zeit. Diese sind auch schnell gefunden, man stellt sich einander vor, umarmt einander, flüstert einander Beobachtungen, Handlungsanweisungen zu. Das Publikum ist nicht immer in die folgenden Dialoge eingeweiht. Es hört dieses oder jenes nicht. Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn Cubides mit einem anderen „blinden“ Träger Augenbinden für die Anwesenden auf einem Tablett anbietet, kann es auch wählen, ob es nicht mehr sieht, sich auf das Hörbare, die Schritte, den wunderbar eigenständigen Sound von Manuel Riegler konzentriert, sich also für oder gegen das eine oder andere entscheidet. Nach Anweisung an den Fäden ziehen. Die sich bildenden Gruppen bauen Kisten aus den vorhandenen Kartonbögen, tragen den weißen bespannten Rahmen, später auch eine Reihe von verschieden großen schwarzen leeren Rahmen durch den Raum, ziehen da und dort (manche mit Augenbinden, den Anweisungen der „Assistentinnen“ dieses Abends folgend) an den Schnüren. Welche Gruppen sich bilden, wer dazu geholt wird, der Einladung folgt, wer nicht, ist offen, beruht auf Freiwilligkeit. Auch wir, das Publikum, das sich nicht aktiv am Bauen, Ziehen oder Heben beteiligt, sind eingeladen. Sehen, hören, gehen. Oder auch nichts sehen, nur hören. Sitzen, auch liegen. Alles ist möglich, und ich fühle mich angenehm befreit von den Zwängen des in eine bestimmte Richtung Sehens, etwas Konkretem folgen, sich der „Starre festgeschriebener Strukturen“ (Cubides) unterwerfen zu müssen. Man kann sogar einfach aufhören, sich zu konzentrieren. Für eine frei wählbare Zeitspanne innehalten, als wäre diese Performance einfach nicht da. Das Knarren des alten Bodens, die Stimmen aus dem Hof des unter einem liegenden WUK-Areals, der Autolärm der ins blaue Schwarz der Nacht herunterfahrenden Stadt.

"Do you see a plan?“

Und dann hängen sie, die schwarzen leeren Rahmen, an den Seilen, diesem korrespondierenden System von Impuls und Reaktion, Kraftaufwand und Entlastung; winden sich in den Händen der Performerin und ihrer Kollaborateur*innen, manche aus ihrem Team, einige aus der temporären und im Grunde nur topografischen Gemeinschaft des Abends hineingeholt in dieses „Spiel“, das keines ist. Der nun folgende „Tanz“ der leeren Rahmen und der Performerin ist für mich die stärkste, verletzlichste und intimste Begegnung von Möglichem und Unmöglichem an diesem Abend. Performance oder Therapiestunde: "Umarmt euch!"Ein Zerren und Ziehen, Zusammenbrechen und sich Erheben, Konstruktion und Deformation, Energie und Erschöpfung. Ich lese später in einem Interview mit der Künstlerin über ihren konzeptionellen Ansatz für diese Arbeit: „Ich suche nach Möglichkeiten, die Dinge anders zu sehen, weiter hinauszublicken, anzuschauen, was da ist, welches Potenzial darin liegt, die Perspektive zu verändern und zu vergrößern.“ Das gelingt ihr an diesem, phasenweise etwas lange an dem einen oder anderen Impuls haftenden Abend: Man fühlt sich während der Performance tatsächlich angenehm frei, „etwas“ zu tun, egal was, und findet sich doch immer wieder interessiert an dem einen oder anderen Ort des Raumes; sucht in die eine oder andere Begegnung, Aktion, Interaktion näher einzusteigen; kann beobachten, ohne zu „partizipieren“, kann sich eine Binde vom Tablett holen, um den Blick zur Ruhe kommen zu lassen. Adriana Cubides: Mit verbundenen Augen mehr sehen.

„Eine bestimmte Art von Wahrheit“

Am Ende des Abends bewegen sich Choreografin und Platte wieder an ihren Ausgangspunkt zurück. Lehnen an der Wand. Jemand aus dem Publikum ruft „We love you“. „The Gap in Between“, diese Kluft zwischen Ankunft und Abschied, Erwartbarem und dessen De-Konstruktion noch vor dem eigentlichen Ereignis, zwischen dem „Plan“, nach dem eine Besucherin am Ende fragt ‒ „Do you see a plan?“, fragt Heredia erschöpft zurück ‒ und all den Möglichkeiten, die sich im Laufe des Abends vor uns auftun, ohne dass sie sich je einlösen werden, nein, diese Kluft löst sich nicht auf. Und ich denke auf dem Heimweg, dass diese Unüberwindbarkeit der Kluft wohl am ehesten jene „Ehrlichkeit“ ist, nach der Cubides unaufhörlich sucht.

Adriana Cubides: „The Gap in Between“, installative interaktive Performance. Konzept und künstlerische Leitung: Adriana Cubides.
Performance: Adriana Cubides, Friederike Heine und Special Guests; Sound: Manuel Riegler; Bühnenbild: Lisa Horvath, Ralf-Bodo Kliem; Licht: Veronika Mayerböck; Masken: Helmut Fixl; Kostüme: Veronika Harb. 4. und 5. Mai 2018, 20.30 Uhr, WUK Projektraum.