Skip to main content

ImPulsTanz: Sina Saberi, danceWEB-Stipendiat

DanceWEB Sholarstipendiat Sina Sabery by Kimia Rahgozar

Sina Saberi, 28, gebürtig aus Teheran, Teilnehmer des DancWEB Scholarship Pogramms für zeitgenössischen Tanz und Performance, hat mit Barbara Freitag über die Situation des Tanzes im Iran und seine spezielle Biographie gesprochen. Das danceWEB Scholarship Programme bietet alljährlich mehr als 60 Tänzer_innen und Nachwuchschoreograf_ innen aus rund 40 Ländern ein Stipendium für alle Workshops, Researchprojekte und Performances im Rahmen von ImPulsTanz, sowie ein zusätzliches Mentoring durch einen Artistic Coach. 2016 betreut der Tänzer, Choreograf und bildende Künstler Tino Sehgal die 31 Teilnehmer_innen aus 31 Ländern.

Ein Interview.

Barbara Freitag: Wolltest du schon immer Tänzer werden?

Sina Saberi: Nein, ich hatte zunächst gar keine Idee davon. Ich komme aus einer Mittelschichtsfamilie, traditionell, aber nicht besonders religiös. Meine Eltern waren selbst gereist, als ich noch klein war, und haben ein liberaleres Bild von der Welt. Das normale Studium in meiner Schicht wäre ein technisches oder Medizin, das ist der Trend. Auch in meiner Familie gibt es fast nur Techniker und Ärzte. Mein Vater hätte sich mich als Ingenieur gewünscht. Aber ich wusste bald, dass ich weder das eine, noch das andere machen wollte.

Allerdings war ich noch weit davon entfernt, ein Künstler werden zu wollen, geschweige denn ein Tänzer. Das gab es nicht als Berufsbild, darüber wusste ich kaum etwas. Ich war immer gut in Englisch, also entschied ich mich für Englische Literatur, das schien mir am nächsten zu meinen Wünschen. Ich war sehr an anderen Kulturen interessiert, und Englische Literatur schien mir das einzig passende Studium im Iran zu sein, das mich mit der weiten Welt verbinden könnte. Ich bewarb mich an der besten Universität in Teheran. Meine Eltern waren nicht begeistert, aber sie dachten, okay, wenn er an dieser guten Universität angenommen wurde, wird es passen.

Nach einem Jahr Studium wollte ich auch eigenes Geld verdienen und begann, Englisch zu unterrichten. Ich liebte das Unterrichten, nach sieben Jahren war es dann aber genug, denn es war keine Herausforderung mehr. DanceWeb Stipendiatinnen 2015 feiern den Abschluss. ©Karolina Miernik

Ich bewarb mich für andere Jobs, als Flugbegleiter, in der Werbung und so etwas. Schließlich landete ich bei der UN (United Nations) in der Flüchtlingsabteilung. Es gab vierzig Bewerbungen, und ich wurde ausgewählt und als Public Communications-Officer angestellt mit einem Jahresvertrag. Das war anfangs auch spannend und ich habe einiges über Kommunikation gelernt, aber nach drei Monaten wusste ich, dieser Büro-Job ist nicht meins. Einen angebotenen Drei-Jahres-Vertrag habe ich abgelehnt. Denn in dieser Zeit war mein Interesse für die dramatische Kunst bereits erwacht und ich hatte begonnen, nebenbei Schauspielunterricht zu nehmen.

Mein erstes Engagement war für eine Bearbeitung eines Stückes von Dario Fo, „Gli Imbianchini non hanno ricordi“. In unserer Version ging es um einen Mann, der sich als Frau verkleidete, also eine Queer-Thematik. Es ging um sexuelle Identität, was im Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad. Ich habe das damals gar nicht realisiert, dass wir ziemlich viel riskiert haben. Es war dann ein großer Erfolg.

BF: Welchen Stellenwert hat Theater allgemein im Iran?

SS: Theater ist im Iran sehr populär. Man bekommt für erfolgreiche Stücke auch nur schwer Karten, obwohl sie lang gespielt werden. Es ist toll, im Iran Schauspieler zu sein, obwohl es so schwierig und oft nicht ungefährlich ist, Produktionen auf die Beine zu stellen. Aber das Publikum trägt einen, das ist großartig.

BF: Das war also der Beginn deiner Bühnenkarriere?

SS: Ja. Und dann rief mich 2014 Atefeh Tehrani an, die eine sehr wichtige Person im Iran ist. Sie hatte 2009 „Othello“ aufgeführt, ein sehr bedeutendes Stück Physical Theatre. Man kann sagen, dass sie zur zweiten Generation von Underground-Tänzern gehört, also zu jener Generation, die im Film „Dessert Dancer“ porträtiert wurde, ohne Ausbildung, die sich alles selbst finden musste. Ich habe den „Othello“ damals auch gesehen, das war eine große Sache, denn sowas gab es nie zuvor, ohne Worte, nur Bewegung. Das Komische war, dass niemand in der Regierung realisiert hatte, dass das Stück eigentlich Contemporary Dance europäischen Maßstabs war. Das konnte Atefeh natürlich nicht so deklarieren, sondern nannte es ein Theaterstück. Es war 2010 auch auf dem größten Festival im Iran zu sehen, dem Fadjr International Theater Festival Tehran, und gewann einen Preis für die beste Regie. In der Folge tourte die Produktion quer durch Europa. Irgendwo gewann Atefeh dann tatsächlich einen Preis für die beste Choreographie. Das erfuhr man natürlich auch in Teheran, und Atefeh wurde daraufhin mit einer fünfjährigen Arbeitssperre bestraft.

DanceWebber beim Training im Arsenal © Karolina MiernikSie wollte dann 2014 ein neues Stück machen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung über zeitgenössischen Tanz, aber ich kannte sie und ihre TänzerInnen und wusste, da mache ich mit. Ich ging zur Audition und nach einigen Minuten sagte sie, ich wäre aufgenommen. Ich dachte, bin ich nun ein Tänzer? Es tat sich eine komplett neue Welt für mich auf, eine intensive Arbeitsphase von achtzehn Monaten. Allmählich begriff ich, was professioneller Tanz ist, was Techniken sind, wie man sich bewegt. Das war faszinierend. Ich saugte alle möglichen Tanzvideos in mich hinein, die ich nur bekommen konnte. /p>

Das Stück hieß „Cafe Lethe“. Wir wollten es auch zum Fadjr-Festival bringen und spielten es der Behörde vor. Man muss sich vorstellen, so etwas wäre in Europa nicht der Rede wert, aber im Iran kann man das auch heute noch nicht machen. Wir bekamen keine Genehmigung. Atefeh war sehr traurig darüber. Dann haben wir uns alle getrennt.

Aber einige Leute blieben zusammen, fünf Frauen und zwei Männer, und bildeten eine Art Trainingsgemeinschaft, denn wir wollten weitermachen. Atefeh war nicht mehr dabei, und bei allem Respekt muss ich auch sagen, wir haben uns weiter entwickelt. Wir wollten Bewegung genau studieren, nicht nur unter theatralen Aspekten. Es war klar, dass wir eines Tages Hilfe brauchen würden, denn es gibt ja keinerlei Möglichkeiten im Iran, Tanz zu trainieren, von geeigneten Böden angefangen. Anfang 2013 machten wir ein Stück namens „Reluctant“, natürlich im Untergrund, denn dafür hätten wir bestimmt keine Erlaubnis erhalten.

BF: Wo finden diese Stücke statt?

SS: In privaten Räumen. Man lädt offiziell Freunde ein, dabei muss man sie gar nicht alle kennen.

BF: Wie und wovon hast du damals gelebt? Geld verdient habt ihr ja nicht als Künstler.

SS: Das war eine entbehrungsreiche Zeit, denn wir haben sieben Stunden täglich gearbeitet und trainiert. Zum Glück kann man im Iran immer bei den Eltern wohnen, sonst wäre ich wohl auf der Straße gelandet. Mein Vater hat zwar ein Jahr lang nicht mit mir gesprochen, und es war schwierig insgesamt, auch weil sie verstehen lernen mussten, dass ich schwul bin.

SS: Gar nicht. Ich wollte es ihnen erklären, aber sie wollten nicht darüber reden. Positiv war damals, dass mir eingefallen war, dass ich ja viele Kontakte von der UN hatte. Ich lud also einige Bekannte von dort ein, und ein Freund von der norwegischen Botschaft war sehr angetan und sagte, das wäre eine ausgezeichnete Produktion. Er hat uns dann zu einer Förderung aus Norwegen verholfen. Unser nächstes Stück war schon professioneller. Wir führten „Number Three Teheran“ im Haus eines Tänzers auf und luden Profis aus der Theaterszene ein. Wir deklarierten nicht, ob es ein Tanzstück oder Schauspiel war, sondern nannten es einfach ein „Contemporary Piece“. Ich fühlte, das war der Anfang von etwas Besonderem. Saberi beim Entspannungstraining. © Saberi-Privatarchiv

Das Stück war sehr erfolgreich, und die norwegische Botschafterin vermittelte uns eine Teilnahme bei einem Festival in Beirut. Das war mein erster Kontakt mit internationalen Tanzkünstlern. Der Leiter des Festivals, Omar Rajeh, kam dann sogar nach Teheran und gab uns einen Workshop. Es entstand eine Zusammenarbeit und er choreographierte für uns das Stück „Zaafaran. Eine Genehmigung für eine Präsentation im Rahmen des Fadr-Festivals erhielten wir abermals nicht. Dank Omar konnten wir es aber in Beirut aufführen, und es wurde so erfolgreich, dass es jetzt auf Tour ist. Am 15. August 2016 zeigen wir es beim Sziget Festival in Budapest.

BF: Bist du jetzt ein professioneller Tänzer?

SS: Ich sehe mich als Performing Artist. Ich schließe nichts aus, habe auch gelernt, dass Bewegung ein universales Konzept ist. Dennoch habe ich den Eindruck, im Westen nicht als professioneller Tänzer zu gelten, weil ich diese vielfältige Ausbildung, wie sie hier Standard ist, nicht genossen habe. Wir haben dieses institutionelle Umfeld nicht im Iran. Wir sind einfach abgeschnitten seit vierzig Jahren. Wir wissen auch nicht, was iranischer Tanz sein könnte. Und speziell diese Frage interessiert mich brennend. Was könnte er sein, wie hätte er sich entwickeln können, wie würde ich mich als iranischer Tänzer bewegen, hätten wir diesen Bruch nicht gehabt? Das ist ein großes Thema für mich.

BF: Es gibt eine sehr spannende Filmszene im Iran. Aber Film ist natürlich nicht ein so unmittelbares Medium wie Tanz. Warum ist Tanz verboten, was denkst du?
SS: Wir haben nun mal eine islamische Verfassung. Wir führen alle ein Doppelleben, denn eigentlich wollen wir alle normal leben, so wie ihr im Westen. Wir sind aber geboren in einer Zeit, als dieses komplizierte System an die Macht kam, obwohl es völlig entgegengesetzt zu dem ist, was die meisten Leute wollen. So wollten sie nicht leben. Es ist auch viel geschehen seither, aber es scheint schwer zu sein. Es wird noch lange dauern, bis wir das überwinden können.

Warum ist Tanz verboten? Warum? Ich weiß es nicht. Ich werde sogar wahnsinnig vor Ärger, wenn ich darüber spreche. Es ist so rückständig, es kommt aus dem Koran. Demnach sollen Frauen ihre Schönheit nicht preisgeben und dürfen ihre Körper und Gefühle nicht zeigen. Auch Männer dürfen ihre Gefühle nicht zeigen. Wenn so ein Regelsystem besteht, muss Tanz ja automatisch verboten sein. Man darf keine Regung von Schönheit, Emotion, Sinnlichkeit zeigen. Denn all das ist Tanz.

BF: Wie geht es bei dir weiter?

SS: Ich suche nach der iranischen Bewegung, wie ich vorhin erwähnt hatte. Ich habe viel gelesen über antike Kultur, über die goldene Zeit in Persien. Mein Projekt heißt „Persische Mysterien“. Ich suche auch nach meiner Identität als iranischer Tänzer, als schwuler iranischen Tänzer, als an Contemporary Dance interessierter, schwuler, iranischer Tänzer. Es ist ein großes Thema, an dem ich sicher die nächsten Jahre arbeiten werde, gern mit Unterstützung von anderen TänzerInnen. Ich gehöre nicht zum westlichen Diskurs und habe nicht den akademischen Background wie hier üblich, aber ich habe etwas in mir, das ich gern herausarbeiten und zeigen möchte.

BF: Möchtest du im Iran bleiben?

SS: Es ist sehr wichtig für mich, im Iran zu leben. Natürlich gab es die Idee, wegzugehen. Aber ich fühle mich sehr iranisch, es ist meine Heimat, auch wenn es ein höchst komplizierter Platz zu leben ist, immer wieder sehr frustrierend. Aber ich fühle, ich muss dort leben und dort initiativ werden. Ich fühle mich verantwortlich. Auch wenn es riskant ist, mache ich dort meine Arbeit. Ich weiß zwar nie, was passieren wird, wer mich bespitzelt, ob mein Pass mir abgenommen wird, ob ich das nächste beantragte Visum bekommen werde…

Ich war so glücklich, bei danceWEB Impulstanz angenommen zu werden, als ich mich beworben hatte. Ich habe jetzt schon so viel gelernt und profitiere von der Erfahrung und erwerbe neues Wissen. Hier fühle ich mich normal, das ist eine Erholung. Als normaler Künstler, der herausfinden will, warum er etwas macht. Hier erkennt man die Arbeit an, nicht den Kontext. Eines Tages soll es auch im Iran wieder so werden.

Interview mit dem danceWEB Stipendiaten Sina Saberi, Iran.
Das danceWEB Programm 2016 findet vom 13. Juli bis 17. August statt.