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Volksoper: Märchenwelt Ballett, Wiederaufnahme

Entenvolk mit Truthahn und Mutter (Patrik Hullman, Una Zubović)

Diese Märchen, uraufgeführt 2013 an der Volksoper, ist scharf zweigeteilt. Andrey Kaydanovskiy choreografierte nach dem Märchen von Hans Christan Andersen „Das hässliche Entlein“ in eigenständiger, zeitgemäßer Tanzsprache ein Tanztheater, das inhaltlich auch Erwachsene sowohl inhaltlich als auch mit den tänzerischen Bewegungen befriedigen kann. Vesna Orlic konzentrierte sich in „Tausendundeine Nacht“ auf die Geschichte von „Aladin und die Wunderlampe“ und vermittelt mit einem pseudoorientalischen Bewegungsvokabular eine kaum mehr aktuelle Ästhetik.

Tainá Ferreira Luiz, Alexander Kaden: Prinzessin Budur, Aladin. Obwohl Orlic Nikolai Rimski-Korsakows Tondichtung „Scheherazade“ als musikalische Untermalung gewählt hat, kommt die Figur der Scheherazade aus der Rahmenhandlung zur persischen Geschichten-Sammlung „Tausendundeine Nacht“, die den König, der sie wie alle seine "Frauen für einen Tag" nach der Hochzeit töten lassen will, durch ihre Erzählkunst von seinem Vorhaben abbringt, nicht vor. Erzählt wird von einem Mann, der zugleich der Geist ist, den Aladin aus der Flasche zaubert, aber mehr wie ein Clown wirkt. Nicolaus Haag hat den Text für den Darsteller Boris Eder geschrieben. Die Kinder sind nicht gefordert, sich eigene Gedanken über die Balletthandlung zu machen, weil jede Szene vorgekaut wird. Klar finden sie das gut, denn auch in der Schule werden sie nur selten zum eigenen Denken erzogen. Vorkauen, Nachplappern ist die übliche Unterrichtsmethode. Felipe Vieira ist das mitleiderregende hässliche Entlein.

Kaydanovskiy hingegen stellt eine komplexe Geschichte auf die Bühne, die im Subtext viel mehr erzählt, als die Handlung vordergründig zeigt. Dieses im Tierreich spielende Märchen ist hochaktuell und auch gesellschaftspolitisch relevant, zugleich aber mit flauschigen Entchen und einem traurigen Bastard richtig märchenhaft. Wieviel Stunden Kaydanovskiy im Tiergarten verbracht hat, um die Bewegungen von Enten, Katzen und Hühnern zu studieren, wage ich nicht zu schätzen. Jedenfalls sind die Tiere keine verkappten Menschen und doch richtig putzig, auch leicht identifizierbar in den passenden Kostümen von Karoline Hogl. Sie ist auch für das, die Natur und einen Bauernhof darstellende, praktikable Bühnenbild verantwortlich.

Entlein und Wildenten verstecken sich vor dem Jäger (Felipe Vieira, Keisuke Nejime, Robert Weithas, Rollendebüt)Tänzerinnen und Tänzer bieten eine respektable Leistung, denn Kaydanovskiys Tanzsprache ist eigenwillig, in diesem Fall kantig (nur die Katze darf geschmeidig sein) und pantomimisch, verlangt weniger gestreckte Beine als gebeugte Knie und tiefhängende Hinterteile. Dennoch sind die Figuren fein charakterisiert, allein die Szene, wenn die stolzen Entenmütter ihre flauschiggelben Kleinen vorführen und die Mutter des hässlichen akzeptieren muss, dass ihr drittes Kind nicht anerkannt wird, worauf sie ihm ihre Liebe entzieht, ist auch ein Glanzstück an Schauspielkunst und Gesellschaftskritik. Die Mitglieder des Staatsballetts in der Volksoper haben ihre Rollen bereits getanzt und sind entsprechend präzise und sicher. Felipe Vieira ist ein nach Liebe suchendes falsches Entlein, das Märchenkennerinnen sehr schnell als kleinen Schwan erkennen. Una Zubović ist seine Mutter, die sich dem Diktat der Gesellschaft beugt, obwohl sie anfangs den Wechselbalg liebevoll annimmt. Ein Gustostückerl bieten die beiden Wildenten (Keisuke Nejime, Robert Weithas im Rollendebüt), die vom Jäger (ein riesiger Schatten an der Wand) gejagt werden, aber zu dumm sind, um sich selbst zu retten. Die Katze, das Entlein und das Huhn (Suzanne Kertész, Felipe Vieira, László Benedek). Den Gegensatz zur geregelten Welt des Federviehs (Patrik Hullmann ist ein wichtigtuerischer Truthahn, Lásló Benedek das Huhn, Suzanne Kertész die Katze; Zuzanna Kvassayova und Mila Schmidt staksen als Küken über den Hof) bildet die lockere, etwas exaltierte  Schwanen-gesellschaft. Sehnsüchtig schaut ihr das hässliche Entlein anfangs nach, wenn sie kreischend und lachend vorbeistöckelt. Am Ende aber erkennt es seine Brüder und bemerkt mit Staunen, dass sie ihn nicht zurückweisen, sondern in ihrer Mitte aufnehmen.

Kaydanovskiy hat Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ in der Orchestrierung von Maurice Ravel als Musik gewählt und seine Szenen dem Charakter der einzelnen Bilder von heiter bis düster perfekt angepasst. Dirigent Alfred Eschwé und das Volksopernorchester kommen mit diesem russischen Komponisten gut zurecht. Mit den einschmeichelnden, flirrenden Melodien des anderen, Rimski-Korsakow nämlich, kann er weniger anfangen. Diesen Brei, der da unsensibel angerührt wird, kann auch Vesna Stanković mit ihrer Geige nicht retten.

Pas de deux im Orient: Tainá Ferreira Luiz mit Alexander KadenDementsprechend verschmiert und undifferenziert sind auch die Ensembleszenen. Da bleibt das Staatsballett in der Volksoper unter seinem Niveau. Tainá Ferreira Luiz ist die schöne Prinzessin Budur, die sich in den dahergelaufenen Aladin (Alexander Kaden) verliebt, wie er sich in sie. Beide feiern in der ersten Vorstellung der Serie ihr Rollendebüt und machen das Beste daraus. Alexandra Burgstaller, für Kostüme und Bühnendekoration verantwortlich, erinnert an bekannte Bilder im Katalog für Orientreisen.
Wie der gesamte Harem tanzt Ferreira Luiz auf Spitze, so wirklich viel hat sie nicht zu tun, auch die Pas des deux mit Kaden, der in einer Hose steckt, die jeden Sprung bremst, sind spärlich, kurz und wenig eindrucksvoll. Sie wird in den beiden letzten Vorstellungen im Jänner die Entenmutter tanzen, Una Zubović ist dann Prinzessin Budur.

Der abschließende Jubel war erfreulich lebhaft. Die Ttänzer*innen haben ihn auch verdient. Die vielen jungen Zuschauer*innen haben sich gut unterhalten und auch die Texteinlagen und Späßchen des Flaschengeists, die Prinzessin und die dezent hüftenschwingenden Damen im Harem genossen. Die schöne Prinzessin Budur: Tainá Ferreira LuizIn mir taucht jedoch die Frage auf: Dienen Märchen nicht der Aufklärung, dem Nachdenken und (auch unterhaltsamen) Lernen? Da könnte das Ballett mithalten, lauwarme Berieselung bekommen Heranwachsende früh genug und von anderen vorgesetzt. Dass jedoch auch sie danach greifen, statt die Anstrengung zu wählen, ist eine nicht zu leugnende Tatsache.
Ich glaube nicht, dass leicht Verständliches, einfach Zubereitetes wirklich geeignet ist, eine neue Generation von Ballettfans heranzubilden. Ballett darf gefallen, gefällig soll es nicht sein. Das können auch junge Zuseher*innen verstehen.

„Märchenwelt Ballett“:
„Das hässliche Entlein“, Choreografie: Andrey Kaydanovskiy, Musik: Modest Mussorgski.
„Tausendundeine Nacht“, Choreografie; Vesna Orlic, Musik: Nikolai Rimski-Korsakow.
Wiener Staatsballett, Orchester der Volksoper Wien, Dirigent: Alfred Eschwé. Wiederaufnahme (17. Aufführung) am 14.12.2018, Volksoper.
Weitere Vorstellungen: 17., 21. Dezember; 3., 5., 20. Jänner 2019.
Fotos: Ashley Taylor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor