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Ballett Preljocaj: „Roméo et Juliette“, St. Pölten

Die Schlägertruppe des Tyrannen Tybalt.

Eine Liebesgeschichte, mehr bitter als süß. Angelin Preljocaj, einer der vorzüglichsten und eigenwilligsten Choreografen Europas, erzählt von der Liebe in der Diktatur. Mit seiner Compagnie zeigt er zur Musik Sergej Prokofjews eine überaus zeitgemäße, düstere Version von Shakespeares Drama „Romeo und Julia“. Das Festspielhaus St. Pölten darf sich rühmen, „Roméo et Juliette“ zum ersten Mal nach Österreich geholt zu haben.

Bezaubernde Julia, schüchtern-kindlich, von Romeo wachgeküsst. Dass die Liebe Hass, Macht und Gewalt besiegt, ist eine Illusion, müssen wir von dieser Choreografie lernen. Was bei Shakespeare süße Melancholie hervorruft, wirkt bei Preljocaj nur noch bitter. Der allmächtige Diktator samt seiner gewalttätigen Soldateska kontrolliert auch die Gefühle der Menschen. Dass Julia einen Herumtreiber liebt, ist nicht erlaubt. Das Liebespaar wird angeklagt und verurteilt. Wer sich nicht fügt, muss sterben.

Julia gehört zur Jeunesse dorée, die sich auf dem Ball mit den Soldaten amüsiert. Doch sie sind alle Gefangene, von Bewaffneten bewacht. Romeo lebt mit seiner Clique außerhalb der Mauer. In Freiheit, jedoch ohne Rechte. Er ist ausgesperrt, sie ist eingesperrt. Jeglicher Kontakt ist verboten, doch die beiden setzen sich darüber hinweg, Romeo scheut sich auch nicht, einen Wachsoldaten zu meucheln, um Julia in die Arme zu schließen. Noch bevor sie geschnappt werden, sind Romeo und Julia zum Tode verurteilt. Fröhlich und frech  tanzen die Rechtlosen auch innerhalb der Mauer

Preljocaj, gebürtiger Franzose mit albanischen Wurzeln, hat die Bearbeitung des Shakespeare-Dramas schon 1989 für das Ballett der Oper in Lyon geschaffen und 1996 für seine Compagnie Ballet Preljocaj aufgefrischt. Seitdem ist die Compagnie nahezu ständig auf Tournee mit dem nicht älter werdenden Werk, das sich immer weiter von einer Dystopie entfernt und Spiegel der Gegenwart wird.

Romeo und Julia haben die Liebe entdeckt, sie tanzen, als wären sie ein Körper. Der Filmregisseur und Comiczeichner Enki Bilal, geboren in Belgrad und mit zehn Jahren nach Paris immigriert, hat auf der Bühne das Gefängnis der Reichen gebaut. Soldaten patrouillieren samt Hund und Gewehr auf der Mauer, vertreiben mit ihren Schlagstöcken das außerhalb lebende fröhliche Volk, das sich immer wieder unter die abgeschottete Gesellschaft mischt. Wie jede Mauer, hat auch diese ihre Löcher. In der Mitte droht ein Wachtturm, noch bevor das Spiel beginnt, blenden die Suchscheinwerfer das Publikum. Keine Liebesgeschichte mit Zuckerguss ist zu erwarten. Mit seiner akzentuierten Tanzsprache schafft es Preljocaj, den Kontrast zwischen der harten, kalten politischen Situation und der zarten, zerbrechlichen Liebe bildhaft darzustellen.Mercutio wird von den Schlägern Tybalts totgeprügelt. Außenseiter müssen verschwinden.

Zu Herzen gehend sind die drei Ballett-Pas de deux des Liebespaares. In der „Balkonszene“ wird Julia noch von Zweifeln geplagt, traut der Liebe noch nicht ganz. In der Hochzeitsnacht jedoch gibt sie sich ganz hin, will frei sein, wie Romeo. Zu Tränen rührt der letzte Pas de deux, der eigentlich keiner ist, denn die beiden begegnen einander nicht mehr, sie tanzen, doch in den Armen halten sie eine Leiche.
Schauderhaft schön und herzzerreißend.Die gedoppelte Amme, Mittlerin zwischen den beiden Welten.

Preljocaj hat die Musik Prokofjews in ihrer rhythmischen Komplexität und den Dissonanze, etwas bearbeitet und gekürzt und durch die dunklen Sounds des Medienkünstlers Goran Vejvoda ergänzt, dennoch sind die genau nach Shakespeare komponierten Szenenfolgen so plastisch und stark, dass auch der Choreograf sie nicht übergehen kann und überdies voraussetzen darf, dass der Handlungsverlauf allgemein bekannt ist.
Angelin Preljocaj ist einer der immer rarer werdenden Choreografen, die es schaffen, einen Klassiker der Ballettgeschichte zu neuem Leben zu erwecken, in die Gegenwart zu versetzen, ohne das Werk (Plot und Musik) zu beschädigen. Er choreografiert nicht nur für seine exzellente Compagnie sondern auch für andere Compagnien. Die Residenz ist im schwarzen Pavillon (Pavillon noir, 2006 erbaut von Rudy Ricciotti)) in Aix en Provence, wo er choreografiert, probiert und seine Stücke im integrierten Theater dem Publikum zeigt.

Ein Juwel aus Glas und Holz, ein Ort, eine Heimat der Tanzkunst, deren ständiger Kampf um seine bloße Existenz einer Kampfkunst gleichkommt." (Angelin Preljocaj über den Pavillon noir.)

Die Choreografie konzentriert sich ganz auf die Hauptpersonen: Julia ist tot.Julia, von Bilal und Igor Chapurin in unschuldiges Weiß, neckisch mit einem Hauch Erotik, gekleidet; Romeo, locker, wie aus der Humana-Tonne angezogen, wild und ziemlich ungehobelt. Erst Julia lehrt ihn Zartheit und Fürsorge. Tybalt, Julias Cousin, ist der allmächtige, grausame Diktator. Sein Hemd ist rot von Blut. Die Amme hat Preljocaj in zwei Tänzerinnen gespalten, als Mittlerinnen zwischen den beiden Gruppen haben sie eine schwarze und eine weiße Seite, was im Kostüm deutlich wird. Den gefühllosen Soldaten, schwarze Maschinen ohne Gesicht, die im Stechschritt aufmarschieren, tanzt das freie Volk gern auf der Nase herum. Nicht für lange. Mercutio muss daran glauben, er wird einfach erschlagen und weggeworfen. Eine ganz andere Deutung gibt Preljocaj auch dem zwielichtigen Pater Lorenzo. Klagend wirft sich Julia  in die Arme des toten Romeo und findet das Messer …Er taucht aus einer raucherfüllten Höhle, hat Hörner auf dem Kopf, ist ein Zauberer, der behauptet Tote zum Leben erwecken zu können und es mit der Macht hält. Julia lässt sich auf seinen Vorschlag ein, wird in das blutrote Tuch gehüllt. Erwacht nur noch, um den toten Romeo zu finden und sich die Pulsadern aufzuschneiden. Mit Genuss sieht Tybalt von der Mauerkrone aus dem Sterben der beiden jungen Menschen zu. Er hat sein Werk vollbracht.
Dem Publikum bietet einzig der Lauf der Geschichte Trost: Auch Grausamkeit und Tyrannei haben ein Ende.

Ballet Preljocaj: „Roméo et Juliette“, Choreografie: Angelin Preljocaj; Bühne: Enki Bilal; Kostüme: Bilal, Igor Chapurin; Sounddesign: Goran Vejvoda; Lichtdesign: Jacques Chatelet; Dirigent des Tonkünstler-Orchesters: Garrett Keast. Tanz: Ballet Preljocaj. Produktionsfotos: Jean-Claude Carbonne.
Aufführungen am 24. und 25. November 2018, Festspielhaus St. Pölten.