Kresnik | Schwertsik | Helnwein: „Macbeth“, Linz
Johann Kresnik hat sein choreografisches Theater nach William Shakespeare „Macbeth“ für TANZLIN.Z, das Ensemble des Linzer Landestheaters, rekonstruiert. Die Originalmusik, für Klavier zu vier Händen, stammt von Kurt Schwertsik. Das Bühnenbild von Gottfried Helnwein ist ebenfalls rekonstruiert worden. Die Premiere am 13. Oktober 2018 im Linzer Musiktheater hat geteilte Aufnahme gefunden. Entsetzen und Schrecken haben einige Buhs hervorgerufen, bis begeisterter Jubel mit langanhaltendem Applaus sich schließlich durchgesetzt hat.
Dumpf klingen die ersten Schläge auf dem Klavier an der Rampe. Abrupt hebt sich der blutrote Vorhang und gibt ein Leichenschauhaus frei. Sarg reiht sich an Sarg. Blackout. Wieder hämmern die Akkorde, die Toten erheben sich, wanken in ihren Hüllen über die Bühne. Blackout. Die Mordopfer sind zum Leben erwacht. Knarrend öffnet sich das große Tor im Hintergrund, der dunkle Priester schreitet nach vorn, leert den ersten Blutkübel samt Leichenteilen in den Orchestergraben. Dieses Krachen des schweren Riegels, dieses Knarren der Torflügel wird, wie die Beteiligung der Kirche am unaufhörlichen Morden, den wechselnden Bildern den Rhythmus geben. Allmählich scheint der Orchestergraben überzuquellen vor Blut und totem Fleisch.
Helnwein legt die in weiße Tücher gehüllte Figuren in weiße Badewannen und erinnert damit an den Tod des einstmals mächtigen, durch einen Skandal kompromittierten deutschen Landespolitikers Uwe Barschel. Barschel ist 1987 tot in einer Schweizer Hotelbadewanne gefunden worden. Offiziell wurde Selbstmord diagnostiziert, der Verdacht, dass er ermordet worden ist, konnte bis heute nicht entkräftet werden. Dieses auch bei der Uraufführung in Heidelberg im Februar 1988 noch in den Medien präsente Ereignis haben Kresnik und sein Team in die Arbeit einfließen lassen. Im Grunde ist es egal, ob die Causa Barschel noch in Erinnerungen oder ob der Handlungsablauf des institutionalisierten Mordens bei Shakespeare präsent ist – Kresniks direkte Tanzsprache, Helnweins Bilder und die großartige Darstellung des Linzer Ensembles sind verständlich und klar, zeigen eindringlich und plastisch, wohin Machtgier und Machtmissbrauch führen. Schon ist das Volk verletzt, trägt Male im Gesicht, schwarze Narben. Die Hexen haben doppelte Gebisse, tragen Waffen im Gesicht, sind erotische Gespenster, die als Symbole der menschlichen Gier ihr verführerisches Spiel treiben. Ist die Bestie einmal losgelassen, kann sie nicht mehr aufgehalten werden.
Weiß und klinisch sauber ist das Schlachthaus, rot das Gewand der Lady Macbeth (Andressa Miyazato), die den anfangs verspielten und sanften Macbeth (Pavel Povraznik) antreibt und bald selbst im Blut versinkt. Und immer blitzen die Messer, spielerisch am Beginn, tödlich im Gesellschaftsspiel mit Messerwerfen, wer zu langsam ist, wird abtransportiert. Die Hexen (Kayla May Corbin, Tura Gómez Coll, Rutsuki Kanazawa) giert es nach Blut, es tropft aus ihren Brüsten, treibt sie zum tollen Tanz, wenn wieder ein Kopf rollt. Sie sind stets anwesend, mischen sich unter die lebenden Toten, sitzen am Tisch, wenn Duncan ermordet wird, verheißen Macbeth in Rätseln die Königswürde. Bald fühlt er sich im Machtrausch unbesiegbar. Vergreift sich auch an Kindern.
Die spielen arglos samt fröhlicher Mama im perspektivisch überdimensionierten Kinderzimmer, tanzen einen Reigen, necken die Mutter, turnen arglos in ihrer pastellfarbenen Welt. Die romantische Szene täuscht – die Schergen im Ärztekittel mit sichelförmigen Steigeisen an den Schuhen warten bereits im Hintergrund, schleichen sich in die Kinderstube, tanzen mit und beginnen unversehens ihr Mordgeschäft, hängen, ertränken, erschlagen, vergewaltigen. „Aufhören. Schluss bitte“, möchte ich schreien.
Endlich gibt die Lady auf, zu klebrig ist das Blut, bis zum Hals reicht es ihr bald, freiwillig stirbt sie unter dem weißen Sarg. Macbeth ist nun allein, ein böser Kasperl, mit goldener Mütze. Nackt stirbt er im Wald aus gespitzten Pfählen. Auch er endet in der Wanne, armselig.
Selbst wenn das Köpfen, Erschlagen, Erstechen, heimtückisch hinter dem Tor, von gedungenen Mordbuben stattfindet, zeigt Kresnik direkt und brutal die Auswirkungen der Macht. „Einen lauten grellen Schrei des Entsetzens“, nannte nach der Uraufführung der Tanzkritiker Jochen Schmidt dieses gar „nicht feinsinnige Kunststück“. Die Ästhetik der Bilder Helnweins ist trügerisch, sie verdichten und intensivieren das Gezeigte, wie auch die nahezu lautmalerische Musik Kurt Schwertsiks, weniger illustriert als Angst und Beklemmung schürt.
Das Linzer Ensemble, TANZLIN.Z unter Mei Hong Lin, hat Großartiges geleistet. Nicht nur die Protagonisten haben – energetisch, akrobatisch, tänzerisch, darstellerisch – ihr Einfühlungsvermögen und Können gezeigt. Meister Kresnik zeigte sich nach der Premiere überaus angetan und zufrieden. Die Aussage dieses choreografischen Theaters (so will Kresnik seine Tanzstücke genannt haben) ist so stark und beklemmend, realistisch und aktuell, dass sich die Frage, wie heutig die Tanzsprache und die Ausstattung sind, gar nicht erst stellt.
Johann Kresnik | Kurt Schwertsik | Gottfried Helnwein: „Macbeth“, Rekonstruktion. Pianisten: Bela Fischer jr., Stefanos Vasileiadis. In den Hauptrollen: Pavel Povraznik, Andressa Miyazato, Edward Nunes, Jonatan Saldgado Romero, Yu-Teng Huang; Kayla May Corbin, Tura Gómez Coll, Rutsuki Kanazawa; das Ensemble von TANZLIN.Z. Choreografische Einstudierung Christina Comtesse. Rekonstruktion: Sabine Hainberger, Bühne; Richard Stockinger, Kostüme; Ivo Iossifov, Lichtdesign. Premiere: 13. Oktober 2018, Musiktheater Linz.
Dieter Wuschanski fotografierte die Hauptprobe am 9. Oktober 2018.
Weitere Vorstellungen bis 17. Februar 2019.