Huysmans/Dereere: Mining Stories
In der bei der diesjährigen Ausgabe des Festivals ImPulsTanz im Rahmen der Reihe [8:tension] präsentierten österreichische Erstaufführung von „Mining Stories“ steht nicht nur die Performerin Silke Huysmans auf der Bühne. Mit ihr, die gemeinsam mit Hannes Dereere die 2016 uraufgeführte dokumentarische Performance entwickelt hat, „stehen“, sprechen und „tanzen“ auch eine ganze Reihe von Menschen, von denen wir zwar nichts sehen als braune Projektionsflächen aus dünnem Holz, auf denen ihre Texte projiziert werden, die dennoch ganz wesentlicher Teil dieses berührenden und intelligenten Theateressays sind.
Da sind, an der Rückwand der Bühne, sieben gleich große braune Holzflächen, die die Namen Luc, Regina, Paul oder Stef tragen, Expert*innen, Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen vermutlich (wenn man weiter recherchiert, lassen sie sich auch finden: der Professor für Neurologie Luc Crevits zum Beispiel, der Professor für Literatur Stef Craps oder der Ökonom Paul De Grauwe), die aus ihren jeweiligen Fachgebieten zum Thema sprechen. Und da sind die Zeitzeug*innen, die „Betroffenen“, jene Menschen aus der brasilianischen Minenregion Minas Gerais, deren Leben sich am 5. November 2015 mit dem Einbruch zweier Dämme der Firma Samarco und der darauffolgenden roten Schlammflut, die über hunderte Kilometer hin ganze Dörfer, Leben und Existenzen zerstörte, für immer ändern sollte.
Auch sie „sprechen“ in Form von Soundeinspielungen und deren visueller Übersetzungen auf gleich großen, gleich farbigen, unterschiedlich hohen Holzplatten auf mobilen Metallgestellen zu uns, die Huysmans während der 60-minütigen Performance in immer wieder neuen Konstellationen, einzeln und in Gruppen, im Duett oder eben auch zum gemeinsamen Tanz der medialen Ebenen auf der Bühne in Bewegung versetzt. Sie bilden das eigentliche Zentrum der Arbeit, die inhomogenen, fast durchwegs bis auf ein kommunikatives Minimum reduzierten Erinnerungsfragmente in Form von Erzähl- respektive Sprech- und Textschnipsel.
An die 15 Menschen treten so in einen audiovisuellen Diskurs über ein Ereignis, das zu den verheerendsten Katastrophen dieses Jahrhunderts zählt. Nein, eine „Naturkatastrophe“ war der Bruch der Dämme von Minas Gerais nicht, hätte er doch bei Einhaltung der notwendigen ökologischen Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen nicht geschehen müssen. Für die Bewohner*innen der Region kam er einer existenziellen Tabula Rasa gleich.
Huysmans, die ihre Kindheit in Minas Gerais, nur wenige Kilometer vom Ort des Ausgangspunkts der Katastrophe, Bento Rodrigues, verbrachte, kehrte für „Mining Stories“ wenige Monate nach den Ereignissen nach Brasilien zurück, um anhand von Gesprächen, Interviews und Begegnungen der Polyphonie der Erinnerungen ein konsequent durchkomponiertes, zugleich reduziertes und hoch komplexes performatives Gewebe zu entwickeln. Die einzelnen Erinnerungsfragmente werden dabei in Form von Interviewzuspielungen durch eine Schaltzeile zu Füßen der Performer*in von dieser präzise zu- und weggeschalten. Da trifft nur ein Wort der einen auf den Gedanken eines anderen, ein Erinnerungsbild einer Betroffenen auf die Reflexion eines Naturwissenschaftlers, manchmal sprechen alle auf einmal, wird die undurchdringbare Textsoundfläche schmerzhaft laut, dann wieder wird für Minuten geschwiegen.
„Mining Stories“ sammelt Stimmen und Thesen, Vorwürfe und Argumente, Erinnerungen und Forderungen und formt daraus ein beeindruckendes Sound-Text-Bildgewebe über den Zustand einer global toxisch gewordenen Welt.
Mining Stories; dokumentarische Audio-Performance von Silke Huysmans, Hannes Dereere; Performance: Silke Huysmans; dramaturgische Beratung: Dries Douibi; Bühnenbild: Frédéric Aelterman, Luc Cools; technische Unterstützung: Christoph Donse.
In englischer, niederländischer und portugiesischer Sprache mit englischen Übertiteln. 6. August, Schauspielhaus im Rahmen von ImPulsTanz.
Zweite Vorstellung: 8. August, 23 Uhr