Ballettdirektor Manuel Legris nutzt die Serie der „Schwanensee“-Abende nicht nur, um Gäste einzuladen, sondern auch, um jungen Tänzern die Möglichkeit zu geben, sich als Prinz Siegfried zu zeigen. Zu wenig Probenzeit ist meist der Preis, den sie dafür zahlen müssen. Die exzellente Erste Solistin Liudmila Konovalova hatte, wie so oft, die Aufgabe, den Debütanten zu führen. Sie macht das mit Einfühlungsvermögen und Rücksicht und ist dennoch eine zarte, ängstliche Odette, eine hinreißende, brillante Odile.
Zu bewundern ist das gesamte Ensemble. Einen Tag davor haben die meisten von ihnen in der Volksoper in den keineswegs durch klassisches Bewegungsvokabular geprägten Choreografien „Der Feuervogel“ (Andrey Kaydanovskiy) oder „Petruschka“ (Eno Peçi) getanzt. Der Mittelteil des dreiteiligen Abends, „Movements to Strawinsky“ (András Lukács), ist zwar reiner Tanz, doch nichts desto weniger anstrengend, zumal die 12 Tänzer_innen alle solo im Rampenlicht tanzen. Nach kurzem Schlaf also Rudolf Nurejews schwierige Choreografie von „Schwanensee“. Das Ensemble, Schwäne, Hofdamen, Walzertänzerinnen, Edelfräulein und Tänzer_innen im Folklorestil: vor den Vorhang bitte.
Der junge Halbsolist aus Portugal, Leonardo Basilio, schlägt sich wacker als neuer Prinz Siegfried. Er hat durchaus prinzliches Potential und auch die Kraft, durchzuhalten. Wie Jakob Feyferlik, der ebenfalls als Siegfried debütiert hat, fehlen ihm einige Probenstunden mit intensivem Coaching. Dann könnte sich auch seine Partnerin ganz auf ihre Rolle konzentrieren. Die Konovalova ist jedoch eine besondere Tänzerin, sie kann beides: makellos im Pas de deux („sauschwer“) und die Solovariationen in Weiß und Schwarz tanzen und auf den Partner Rücksicht nehmen. Das vor Begeisterung tobende Publikum belohnte jeden Schritt und vor allem die rasanten Fouettés der Ersten Solotänzerin. Für Leonardo Basilio war die Vorstellung erst der Beginn.
Der Pas de cinque im 1. Akt, wenn der Prinz mit seinen Freunden und Freundinnen tanzt, entzückt jedes Mal von Neuem. Mit Basilio erfreuten diesmal Ioanna Avraam und Nikisha Fogo mit ihren Francesco Costa und Géraud Wielick. Wielick hat schöne Bewegungen und springt weich. Costa möchte am liebsten nur springen, an einer gelungenen Arabesque liegt ihm weniger. Avraam kann auch als kleiner Schwan mit Elena Bottaro, Natascha Mair und Rikako Shibamoto entzücken. Im neapolitanischen Tanz zeigten Sveva Gargiulo und Arne Vandervelde ihr Debüt als Solopaar. Alexander Ingram dirigiert die oft so verschleppte Tarantella mit Esprit und die Tänzer_innen folgen ihm willig. Diese vier Divertissements im folkloristischen Stil, anlässlich der nachträglich als Fehlschlag erkannten Brautschau des Prinzen, haben sie im Lauf der Aufführungsserie in dieser Saison zu einem richtigen Gustostückerl entwickelt.
Rebecca Horner und Erika Kováčová mit Alexis Forabosco und Andrey Teterin haben als „Spanische Tänzer“ nicht geringen Anteil daran. Und auch meine Lieblingsungarin (das darf einmal gesagt sein) Alice Firenze. Da ist auch Partner Costa in seinem Element.
Anfangs etwas zaghaft, aber bald mit aller Kraft die Drachenflügel schwingend, debütierte Alexandru Tcacenco als Zauberer Rotbart.
Für seine kräftigen Schläge gegen den Rivalen Siegfried wurde er vom Publikum ebenso kräftig gefeiert. In diesem Finale hatte sich auch Basilio von den Anstrengungen eines schwierigen Debüts erholt, locker weckte er die traurigen Schwäne, entspannt versank er im aus dem See kräftig aufsteigenden Nebel.
Und natürlich und vor allem Dirigent Alexander Ingram mit dem Staatsopernorchester. Der frenetische Applaus war ihm fast peinlich, obwohl er schon gewohnt sein müsste, von den Musikliebhaber_innen in den Himmel gehoben zu werden.