„Onegin“: Nikisha Fogo debütiert als Olga
50 Jahre ist John Crankos großartiges Handlungsballett nach Alexander Puschkins Versroman „Eugen Onegin“ bereits alt und noch keine Runzeln sind zu sehen. Crankos „Onegin“, die romantische Geschichte von verschmähter Liebe ist unsterblich, ob gereimt oder getanzt. In der 43. Wiener Aufführung entzückt Solotänzerin Nikisha Fogo als leichtsinnige Olga. Eine Rolle, die bei der späten Wiener Premiere, 2006, von Maria Yakovleva getanzt worden ist. Jetzt begeistert die Erste Solistin als Tatjana. Roman Lazik hat sich als Onegin längst bewährt, Die Figur des Dichters Lenski gestaltet Davide Dato auf seine unnachahmliche Weise. Nicht nur vom Stehplatz auch aus den Reihen des Abonnementpublikums erschallten die Bravorufe.
Roman Lazik hat in den vergangenen Jahren an Bühnenpräsenz und Profil deutlich gewonnen. Sein Onegin ist weniger „homme blasé“ (© Norbert Weinberger) als in Einsamkeit erstarrt. Was wirklich in ihm vorgeht, kann bestenfalls erraten werden, was er zeigt ist Bindungsangst im Schutzmantel eisiger Kälte. Die von Maria Yakovleva als Tatjana so unverfroren wie in jugendlicher Naivität gezeigte stürmische Liebe, macht ihm Angst.
In den beiden wunderbaren, schwierigen Liebes-Pas de deux (1. Akt in Tatjanas Traum, 3. Akt in Onegins spätem Geständnis) zeigt Lazik Onegin seine weiche Seite. Yakovleva ist schon nach ihrem Debüt ausreichend gelobt worden. Neu auf der Bühne: Nikisha Fogo als leichtsinnige Olga, die sich Onegins zum Zeitvertreib gemachten Avancen nicht entziehen will. Ihr Lebensziel scheint „Spaßhaben“ zu sein. Sehr zeitgemäß. Was Cranko nicht mehr erzählt, aber Puschkin aufgeschrieben hat: Sie grämt sich nicht lange über ihres Bräutigams Tod im Duell mit Onegin, das er in zorniger Eifersucht heraufbeschworen hat, sondern heiratet bald einen anderen.
Tatjana aber beugt sich der Familie, nimmt den älteren Fürsten Gremin zum Mann und wird repräsentative Ehefrau in St. Petersburg. So verträumt und romantisch Yakovleva als verliebtes Mädchen ist, so überzeugend ist ihre Wandlung zur reifen, verantwortungsbewussten Ehefrau. Die den Geständnissen einer nach zehn Jahren (angeblich) entflammten Liebe Onegins, nur schwer aber schließlich doch widersteht. Jetzt kniet Onegin vor Tatjana, jetzt missachtet sie sein Flehen, zerreißt seinen Brief, wie er es einst mit dem ihren getan hat. Der Verstand siegt über das Gefühl: Sie weiß, er wird nicht halten, was er so wimmernd verspricht.
Onegins Gegenspieler ist der Dichterjüngling Lenski, Bräutigam Olgas. Manche Interpreten von Puschkins Versen sehen in ihm den jungen Friedrich Schiller. Davide Dato ist ein fröhlicher Springinsfeld, den die Eifersucht und der Zorn auf den verräterischen Freund beutelt. Die Größe auf das angezettelte Duell zu verzichten hat er nicht, da ist ihm sein Männchen-Stolz im Weg. In der Variation vor dem tödlichen Schuss zeigt Dato hohe Schauspielkunst. Man hört ihn förmlich zu einem fernen Gott beten, der Kelch möge an ihm vorübergehe. Auch wenn er weiß, es gibt kein Entkommen. Händeringend blickt er in den mondbeschienenen Himmel. Es muss sein! Vielleicht denkt er an den Nachruhm als toter Dichter.
Alexandru Tcacenco als Tatjanas Gatte, Fürst Gremin, entspricht nicht gerade meiner Vorstellung eines würdigen Fürsten und Generals, der Tatjana vor allem um ihrer Schönheit willen geheiratet hat, aber mehr am Kriegführen, denn an seiner jungen Frau interessiert ist. Tcacenco ist keine Durchlaucht, sondern eher „ein kleiner Garde-Offizier“. Hinreißend sind hingegen die jungen Männer im 1. Akt, Bauernburschen, die in den Garten der Familie Larina (Tatjana und Olga) stürmen, um einen fröhlichen Tanz hinzulegen. Nicht nur die Halbsolisten (Marcin Dempc, Alexis Forabosco, James Stephens, Richard Szabó, Dumitru Taran und Géraud Wielick) erfreuen durch Exaktheit und Energie, auch die jungen Herren des Corps sind bestens trainiert. Weniger präzise geht es dann im fürstlichen Ballsaal zu. Die Polonaise ist ebenso verwaschen wie der Walzer und der Kosaken-Tanz. So warte ich gespannt und sehnsüchtig, auf Onegins Besuch in Tatjanas Boudoir. Nicht nur wegen des großartigen Pas de deux, sondern auch weil der Grausame seine Strafe erhält. Tatjana hat, zehn Jahre nachdem er sie so schändlich blamiert hat, ihre Würde gefunden.
Guillermo García Calvo dirigiert gefühlvoll und lässt Peter Tschaikowskys Melodien (arrangiert und orchestriert von Kurt-Heinz Stolze) besonders in den lyrischen Passagen für die beiden großen Pas de deux schmeichelnd erklingen.
John Cranko: „Onegin“ Ballett in drei Akten (sechs Bildern) nach dem Roman in Versen Eugen Onegin von Alexander Puschkin. Ausstattung: Elisabeth Dalton; Dirigent Guillermo García Calvo. 43. Vorstellung am 22.3. 2017, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Nächste Vorstellung in derselben Besetzung: 4.4.2017.
10. und 12.4. 2017 mit Nina Poláková, Tatjana; Masayu Kimoto, Lenski; Alice Firenze, Olga und Alexis Forabosco, Gremin. Onegin ist Roman Lazik.