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Veronika Glatzner /Tempora: „Ks Frauen“

Ks Frauen in der Wollzeile © Dina Lucia Weiss

Veronika Glatzner hat Franz Kafkas unvollendeten Roman „Der Prozess“ gelesen und ließ sich inspirieren. Zu einem Theaterabend über und mit den Frauen, die, nicht nur Franz K., die Hauptfigur, umschwärmen. In ihrer ersten Regiearbeit, zeigt die viel gelobte Schauspielerin auch in der Teamführung Talent. Präzise wird das vierköpfige weibliche Ensemble, ,Ks Frauen“, geführt, perfekt wird die Bühne genützt, die gar keine ist sondern eine leestehende Wohnung, aufs Feinste wird das Publikum unterhalten und mitunter auch einbezogen. Vierte Wand gibt es keine und die geht auch nicht ab.

„Tempora“ nennt Glatzner ihren Verein „für vorübergehende Kunst“, weil sie in immer neuen (leerstehenden) Räumen zu spielen gedenkt. Diesmal also in einer Wohnung in der Wiener Wollzeile, die zwar von der Mieterin verlassen worden ist, ansonsten aber recht bewohnt aussieht, sogar die Schellackplatte lag noch unter dem Bett. Bernhard Fleischmann hat sie gleich als Teil seiner Musikinstallation eingebaut hat. Wie er überhaupt sein gesamtes, vor dem Finden des Ortes (zur Verfügung gestellt von der conwert Inwest, die sich mit dem Verkauf nun Zeit lässt) erdachtes Soundkonzept verändern hat, als der Aufführungsort festgestanden ist. Dezent, oft lautmalerisch, die Bewegungen der vier Schauspielerinnen unterstreichend, erweitert die elektronische Komposition samt zwei alten Plattenspielern, auf denen sich die Schellacks drehen, das Spiel eher als dieses lediglich mit Hintergrundgeräuschen zu untermalen. Ana Grigalashvili: Begehren und Scham. © Dina Lucia Weiss

Glatzner, als Schauspielerin in Paulus Mankers „Wagnerdämmerung“ vom Stationendrama geprägt, inszeniert dieses jedoch nicht als monumentales Werk, benützt die Wohnung mit Bad und Dienstbotenkammer, Salon und Schlafzimmer (mit herrlich romantischen Wasserflecken und einer Perserteppichattrappe aus Linoleum) als normale Innenräume: Schlafzimmer, Wohnzimmer, Kabinett, Büro, Amtsstube. Jede Menge von alten Büchern, Schriften, Briefen liegen umher, Kamin und Kleiderschrank dienen als Versteck, Fotos aus vergangenen Jahrzehnten auf dem Schreibtisch hat K angeblich durcheinander gebracht, das Fräulein beschwert sich.

Der devote Klient Block: Julia  Schranz  (im Bett der Advokat, Halka Tresnakova) . © Dina Lucia WeissFranz Kafka hätte Tänzer werden soll, so genau beschreibt er in seinen Romanen die Körpersprache der Personen, ja charakterisiert sie darüber. Genau dieser Zwischenraum zwischen Gestik und Wörtern interessiert Glatzner. Deshalb hat sie auch die Tänzerin / Choreografin Anna Knapp engagiert, die die Körperarbeit mit den vier Darstellerinnen übernommen hat. Die erste Szene ist folgerichtig stumm, wenn auch nicht lautlos, die Damen (wenn es denn welche sein sollen) agieren expressiv, kichern, summen, stöhnen, immer lauter, bis das Quartett zu einem rauschenden Chor anschwillt.

Danach werden die Zimmer bespielt, synchron oder different, die Sätze als Loops wiederholt, neue Personen erscheinen, das Publikum folgt willig, lässt sich auch vom stummen Solo einfangen. K windet sich: Marketa Richterova © Dina Lucia WeissWas die Zitate aus Kafkas Roman verschweigen, zeigt der Körper, oft drastisch, nicht peinlich.
Ein aufschlussreiches, erotisches Spiel.
Die Darstellerin wechseln die Kostüme und die Rollen auf offener „Bühne“, sind Mann und Frau, Advokat und K, Frau Grubach und Leni, Fräulein Bürstner und Ehefrau, Klient und Verteidiger.

Halka Tresnakova in Aktion © Dina Lucia WeissDas Publikum (maximal 20 Personen) wird zum Voyeur, sieht den Frauen und Männern beim Umkleiden zu und folgt ihnen ins Badezimmer, beobachtet die Weiber, die zum kränkelnden Advokaten ins Bett kriechen. K (in dieser Szene Marketa Richterova) gefällt das gar nicht, er braucht einen Verteidiger, ist er doch aus unerfindlichen Gründen angeklagt: „Jemand muss ihn verleumdet haben.“ Verzweifelt windet er sich auf dem Sessel.

Am Rand bemerkt: Schon die Tänzerin Anne Juren hat die Choreografie in Kafkas Romanen entdeckt. 2013 hat sie im Tanzquartier gezeigt, wie Text in Tanz umgesetzt werden kann, ohne ihn zu interpretieren, indem man sich genau an die Anweisungen des Autors hält. Glatzner gelingt dies ebenso und beschert damit eine fesselnde, bewegte Stunde inmitten von Ks Frauen, ein durchwegs unterhaltsames Erlebnis.
PS: Man muss Kafka nicht gelesen haben, um das Spiel zu genießen. Es erklärt sich von selbst.

Veronika Glatzner / Tempora: „Ks Frauen“, ein Theaterabend nach „der Prozess“ von Franz Kafka.
Mit Ana Grigalashvili (GEO), Marketa Richterova (CZ), Julia Schranz (A) und Halka Třešňáková (CZ). Dramaturgie: Lilly Valerie Kroth; Musik Bernhard Fleischmann; Ausstattung, Kostüme: Marie Sturminger; Choreografie: Anna Knapp. 15. September 2016 in der leerstehenden Wohnung, Wollzeile 6–8.
Folgevorstellungen jeweils 18.30 und 20 Uhr: 17., 22., 23., 24., 30.9. 1., 2.10. Wollzeile 6-8, Wien 1010.
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