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Marie Chouinard: Garten der Lüste, ImPulsTanz

Gefangen in der Blase der Lust @ Nicolas Ruel

Die kanadische Choreografin Marie Chouinard und ihre Compagnie nehmen den 500. Todestag des niederländischen Malers Hieronymus Bosch zum Anlass, sein Triptychon „Der Garten der Lüste“ lebendig werden zu lassen. Die Aufführung, nur wenige Tage nach der Uraufführung beim Theaterfestival Boulevard’s Hertogenbosch in Boschs Geburtsstadt wurde die Aufführung im Volkstheater in der letzten Woche des ImPulsTanz Festivals heftig bejubelt.

Liebliches Vogelgezwitscher vor dem geschlossenen Triptychon (Erschaffung von Erde und Meer). Die Flügel öffnen sich und aus dem Bild quellen bleiche menschliche Figuren, nackt und nahezu geschlechtslos. Sie bewegen sich gemessen, so als müssten sie ihren Platz, ihre Position erst finden. Wir sind im Paradies, im Garten der irdischen Freuden und Lüste. Einhörner, Vögel, Kamele und Schweine laden zum Reiten ein, saftige Früchte zum Naschen, ein Teich verlockt die Frauen zum Baden ein. Hieronimus Bosch. "Garten der Luste", um 1500 © gemeinfreiNicht verwunderlich, dass Männlein und Weiblein, Weiblein und Weiblein, Männlein und Männlein sich lustvoll berühren und paaren bis sie alle außer Rand und Band geraten. Eine Orgie im Garten der Lüste.

Tänzerin Lucy M May frönt irdischen Gelüsten. ©  Sylvie Ann PareChouinard gelingt das Kunststück das Boschsche Triptychon tatsächlich lebendig werden zu lassen. Zwei Scheiben rechts und links des Bühnenportals dienen als Lupe und heben die getanzte Originalszene des Bildes heraus. Was aber statisch und zweidimensional niedlich, grotesk, skurril und lustig, für die Betrachterinnen heute aber niemals bedrohlich aussieht, wird durch die bewegten Figuren im anfangs weißen Licht und erst recht in der spärlich ausgeleuchteten Hölle (rechter Flügel) zum unter die Haut gehenden Spektakel. Hauen und Stechen, Kneifen und Schlagen, Beißen und Fressen, ungezügeltes Kopulieren – kein Teufel kann sich solche Torturen ausdenken.

Chouinard treibt ihrem Publikum den Stachel ins Fleisch zeigt sämtliche Qualen der Hölle und bringt auch die von Bosch dargestellten Hölleninstrumente zum Lärmen. Den schrillen Schreien der Gequälten möchte ich mich gerne anschließen. „Aufhören bitte, mit dem grausigen Schauspiel, mit dem chaotischen Gewimmel, mit dem dröhnenden, gellenden Lärm.“ Wildes Treiben in der Hölle © Nicolas Ruel

Die Hölle kennt keine Gnade. Doch im linken Flügel wartet Jesus – eine Frau, ein Mann, ein etwas desperat blickender gütiger Gott – und verheißt Erlösung. Stille, linde Lüfte säuseln. Adam weiß noch nicht wie ihm geschieht, blickt verwundert auf das schöne Wesen, dass eben erschaffen worden ist. Die lebenden Abbilder vermehren sich, Evas und Adams, Jesusfiguren wandeln im Garten Eden, wunderbare Tiere tummeln sich zu Land und zu Wasser. Jetzt lässt die Choreografin ihrer Gestaltungslust freien Lauf, die Lupen zeigen nur noch je ein Auge (blau und grün), das blinzelt, schließt und öffnet sich, senkt schließlich ganz fest die Lider. Das Schauspiel ist beendet, die Figuren kehren wieder ins Bild zu rück. Die Flügel schließen sich.

Sanfter Tanz im Himmel © Nicolas RuelEin Bildertheater! Doch was für eines! Großartig, genussreich, auch erschreckend ausgeführt von den hervorragenden, wandlungsfähigen Tänzer_innen der Compagnie Chouinard. Bildertheater, das eine neue Sicht des Werks (der Werke) von Hieronymus Bosch (1450–1516) ermöglicht.

Wie sehr die heute 61jährige Marie Chouinard mit ihren Werken dem Tanz (und dem Publikum) verbunden ist, haben auch die Räte der Biennale di Venezia erkannt und Chouinard für vier Jahre, 2017–2020, zur Tanz-Direktorin ernannt. Schon bei der ersten Biennale Danza, 1999, hat die Kanadierin ihre „Solos 1978–1998“ gezeigt und blieb weiterhin samt ihrer 1990 gegründeten Compagnie gern gesehene Teilnehmerin der venezianischen Biennale Danza. Wie sie auch vom ImPulsTanz Festival immer wieder als Choreografin und Workshop-Leiterin eingeladen wurde und hoffentlich auch in Zukunft wird.

Compagnie Marie Chouinard – „Hieronymus Bosch: The Garden of Earthly Delights“. 8. August 2016, Volkstheater im Rahmen von ImPulsTanz.
Weitere Vorstellungen: 9., und 10. August.

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