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ImPulsTanz‘16: Eröffnung mit Cie. Maguy Marin

Der fröhliche Reigen dauert nicht ewig: "Bit" von Maguy Marin. © Hervé Deroo

Das Tanz-Festival widmete sein diesjähriges Opening der französischen Choreographin Maguy Marin mit ihrem Stück „BiT“. Mit wummernden Technobeats und in ständiger Bewegung begeisterte und verstörte die Compagnie das Publikum im Wiener Volkstheater gleichermaßen. ImPulsTanz erwies mit der Programmierung dieses Stückes am 14. Juli auch dem französischen Nationalfeiertag seine Reverenz, nicht ahnend, wie schrecklich dieser gleichzeitig in Nizza ausfallen würde.

Während in Wien die harten elektronischen Beats sechzig Minuten lang bei manchen Leuten nur für Unwohlsein sorgten, starben in der südfranzösischen Stadt nach einem Terroranschlag leider wirklich Menschen. BiT“ ist ein Wortspiel mit dem französischen Ausdruck für den Penis, „Bite“, und irgendwie geht es auch darum. Auf der Bühne stehen sechs ziemlich schräge, aber noch begehbare Rampenkonstruktionen, und als die ersten Beats ertönen, tänzelt eine Kette von drei Tänzerinnen und drei Tänzern, sich an den Händen haltend, zwischen den Rampen hervor. Es wirkt wie ein Sirtaki, mit den sich hinten und vorn überkreuzenden Schrittfolgen, und die letzten der Kette halten die Arme hoch.

Ein fröhlicher Tanz, nur die Musik passt nicht dazu. Der Reigen löst sich auf: "Bit" von Maguy Marin. © Hervé Deroo

Die Farandole aus der Provence. Eigentlich handelt es sich um den Volkstanz Farandole, aber letztlich gibt es viele solcher ähnlichen Kreistänze. Die TänzerInnen tragen Alltagsgewand, Röcke, Westen, Blusen, Hosen. Flott, fröhlich und rhythmisch geht es dahin, vor, um und auf die Rampenflächen. Bravourös, wie sie den steilen Anstieg sicheren Schrittes in der Kette bewältigen, denn sie lassen einander nicht los. Doch dann kippt die Stimmung, einer zieht dorthin, der Andere dahin. Mann-Frau-Paare bilden sich, Beischlafgesten verweisen auf das ewige Thema. Es wirkt so, als wäre dies nicht immer ganz freiwillig. Und die Opfer sind meistens die Frauen.

Dann sind sie alle weg, und als sie wiederkommen, wähnt man sich im falschen Film, etwa im Video „Thriller“ mit Michael Jackson als Zombie. Geschminkt wie lebende Tote sind die AkteurInnen nun, die Frauen gekleidet in langen Roben, die Männer in Mönchskutten. Eine Art Totentanz mit Massenvergewaltigung. Es entsteht eine düstere Stimmung, und auch die Beats werden immer brutaler.

Wechselbad der Gefühle. Dann dreht sich das Bild wieder, und alle kommen in festlicher Kleidung, die Herren in Smokings, die Damen in goldenen Glitzerfummeln und Highheels’. Wieder tanzen sie in der Kette, halsbrecherisch mit den hohen Absätzen zu jetzt cooleren Beats die Rampen hinauf und hinunter. Schlussendlich springt jeder einzeln von der Rampe in die nicht einsehbare Hinterbühne, und als der letzte Tänzer nach seinem Absprung in der Luft steht, gefriert das Bild gleichsam in der jähen Schwärze und Stille, denn unversehens ist alles aus und zu Ende. Wie meistens setzt der Applaus zu rasch ein, man kommt kaum zum Verdauen, ein paar Sekunden der Stille wären gut.

Neue Fröhlichkeit nach de mTotentanz: "Bit" von Maguy Marin. © Herve DerooWas haben wir überhaupt gesehen? Eine ununterbrochene Bewegungsabfolge, schnell, rhythhmisiert, ein Verlauf von Gruppendynamik mit all ihren Impulsen und Brüchen. Es ist ein Miteinander und ein Gegeneinander, einmal zärtlich, dann wieder voller Gewalt, manchmal im Flow und dann mit einem Riss. Ästhetisch ist Marin in den frühen Neunziger Jahren daheim, als solche dynamischen Formationen beliebt waren. Das ist auch ihr gutes Recht, stammt sie künstlerisch sozusagen ja selbst von damals.

Auch wenn der Einschub des mittelalterlichen Totentanzes nicht ganz verständlich war, ist „BiT“ ein starkes und theatrales Stück, durchaus aufrührerisch. Manchen sogar zu sehr, denn einige haben diese den Puls beschleunigenden sechzig Minuten nicht durchgehalten und verließen das Volkstheater vorzeitig.

ImPulsTanz: Cie. Maguy Marin: „BiT“, 14. Juli 1916,Volkstheater.