Suche
Navaridas & Deutinger: „Queen of Hearts“
Der Titel sagt es schon: Lady Diana, die bei einem Autounfall ums Leben gekommene Princess of Wales, als „Königin der Herzen“ verehrt, ist Ausgangspunkt und Folie für Marta Navaridas und Alex Deutinger, um über Oben und Unten, Volk und seine Herrscher, über Privates und Öffentliches nachzudenken. Weil sie dies perfekt und auf höchst originelle Weise tun, wurden sie im Tanzquartier herzlichst bedankt.
Im wild gemusterten Trikotanzug tänzelt Alex Deutinger auf die Bühne, versucht auf der Spitze zu stehen, blickt etwas verzweifelt ins Publikum, weil der Balanceakt nicht gelingt. Dieser eine. Denn eigentlich ist der gesamte Abend ein Balanceakt, ist doch der Performer zugleich er selbst und die im Titel angesprochene blonde Prinzessin. Die wiederum selbst ihr gesamtes Leben eine Doppelrolle spielen musste. Marta Navaridas und Alex Deutinger setzen Diana (wir nennen sie einfach beim Vornamen, so sehr hat sie die Welt vereinnahmt, so sehr hat sie sich vereinnahmen lassen) an die Schnittstelle zwischen Oben und Unten, sie wird zum Verbindungsglied zwischen Königsfamilie und gemeinem Volk. Doch sie bleibt das, was alle öffentlichen Personen (nicht unbedingt Persönlichkeiten) sind: Eine Projektionsfläche für Wünsche und Sehnsüchte anderer. Alex Deutinger geht noch einen Schritt weiter, sieht sich selbst, den Bühnenkünstler, als öffentliche Person, auf die das Publikum seine Projektionen wirft: „Die Leute schauen auf die Bühne und wollen doch nur sich selbst sehen“, vermutet er im Gespräch. 
Navaridas und Deutinger arbeiten nicht nur auf der Bühne sondern auch als (diplomierte) Übersetzer und haben keine Scheu vor dem Text. Sie erlaubt sich diesmal lediglich ein kleines Liedchen, ist aber sonst stumm, wenn auch nicht unhörbar. Marta Navaridas hat für ihre „Queen of Hearts“ eigens das Schlaghandwerk erlernt und sitzt als Zeremonienmeisterin und Dirigentin mit ihrer Batterie auf einem Podest in der Mitte des Hintergrunds und zeigt mit Energie, welche Rolle dem Tänzer in seinem geometrisch gemusterten Designerkostüm wirklich zugedacht ist. Er ist ein Hampelmann, der von den Navaridas’ Schlägen angetrieben wird. Ruhepausen sind ihm kaum gegönnt, er muss hampeln und hüpfen, tanzen und turnen. Dennoch bewahrt er seine Würde, im royalen Schritt quert der Tänzer die Bühne, sein Épaulement entzückt jede Ballettmeisterin. Wenn klar ist, dass dieser arme Wurschtel eine Rolle zu spielen hat, wandelt sich der Tänzer Deutinger tatsächlich zur lieblichen Herzenskönigin. Mit blonder Perücke und silbrigem Diadem steht sie tatsächlich vor mir, zuckersüß lächelnd, doch auch ein wenig stolz in ihrer Rolle. Die selbstkritische, ironische Ader allerdings ist nicht die ihre, sondern die seine, gehört dem Tänzer / Darsteller, den Deutinger auf der Bühne agieren lässt. Der Begriff der „Doppelrolle“, des mehrfachen Lebens, ist hautnah zu spüren. So richtet sich die abschließende Philippika über Verantwortung und hündische Verehrung, über ferne Idole und nahe Realität sowohl an das Volk wie an Diana und auch Alex.
Navaridas und Deutinger haben das richtige Gefühl für genaues Timing, setzten Text und Musik, Gestik und Tanz in perfektem Rhythmus ein und können das Publikum auch unterhalten, vor allem indem sie mit romantischer Ironie und Selbstdistanz arbeiten. Eine köstliche Performance, der es nicht an Tiefe der Gedanken mangelt.
Nachtrag: Komischerweise ist mir diese Frau, Diana, einstige Kronprinzessin, die als meist fotografierte Frau der Welt galt, deutlich näher gerückt. Bisher habe ich mich wenig für die Dame interessiert, den Rummel nicht mitgemacht, nicht geweint, als sie gestorben ist. Dass die Menschen, die sie zur Ikone erhoben haben, nicht klüger oder besser geworden sind, dafür kann sie nichts.