Wiederaufnahme: La Fille mal gardée
Nicht immer muss das klassische Ballett mit todernster, womöglich sogar gelangweilter, Miene betrachtet werden. Es darf in Spezialfällen auch herzlich und anhaltend gelacht werden. Etwa bei der herzerfrischenden Choreografie des alten „Strohballetts“ von Frederick Ashton: „La Fille mal gardée“ wurde nach 8jährigem Schlaf im Staatsopern-Archiv von Ballettdirektor Manuel Legris wieder ins Bühnenlicht gehoben. Das befreiende Lachen während und der dröhnende Applaus am Ende der Vorstellung geben ihm mehr als Recht.
Fast 300 Jahre nach der Uraufführung hat der britische Meisterchoreograf das erste Ballett, das nicht von Feen und Prinzessinnen erzählt, sondern von einem Bauernmädchen und ihrem einfachen Geliebten, damals vom Tänzer / Choreografen Jean Dauberval in Bordeaux „Strohballett“ genannt, neu erzählt und so viele charmante Details und auch tänzerisch anspruchsvolle Passagen eingebaut, dass das Herz auch Zuschauerinnen, die dem Ballett nicht verfallen sind, fröhlich aufgeht. Zudem hat Ashton den erfahrenen Komponisten John Lanchbery gewinnen können, die Musik von Ferdinand Hérold zu bearbeiten und neu zu arrangieren.
So darf dieses Geschichte von Lise, die den ihr zugedachten Bräutigam, Alain, ausschlägt, weil sie sich den Feldarbeiter Colas längst ausgesucht hat und durch „List und Liebe“ (auch ein mitunter benutzter Titel) auch bekommt, als Juwel des romantischen Balletts gesehen und genossen werden.
In der Ruhepause hat sich das Ensemble des Wiener Staatsballett nahezu total erneuert, sodass die Rollen der ersten Aufführungsserie fast alle als Debüt getanzt worden sind. Eigentlich eine Premiere.
Liudmila Konovalova zeigt als Lise nicht nur perfekte Technik und stupende Standfestigkeit sondern auch mädchenhaften, verschmitzten Liebreiz und ansteckende Fröhlichkeit. Dagegen wird Robert Gabdullin als Colas etwas blass, mehr beschäftigt kleine Unsicherheiten zu kaschieren als einen verliebten Burschen zu spielen.
Eine Überraschung ist Masayu Kimoto als tollpatschiger etwas beschränkter Alain, der vom Vater der gewünschten Braut entgegen geschoben wird und vor lauter Verwirrung im Kreis hopsen muss. Kimoto weiß genau, wer er ist und auch, dass die lustige Figur immer die Lacher auf ihrer Seite hat. Vergnügt reitet er auf dem roten Regenschirm und interpretiert die Neckereien der Bauernmädchen als Avancen. Ein naiver Tor, dem man nicht böse sein kann. Den Bauernmädchen, Dorfbewohner_innen, Schnitter_innen und Knechten müssen ob der Energie und Fröhlichkeit ihres Einsatzes die Premierenpatzer gnädig verziehen werden. Wenn das Fieber gesunken ist und die Beine Ashtons schnelle Schrittfolgen gespeichert haben, wird auch das Corps de ballet seine übliche Meisterschaft erreicht haben.
Die Liebe des Publikums hat jedoch Robert Lazik als Witwe Simone, die Mutter Lises, im Sturm erobert. Lazik erfüllt diese gestrenge Mutter, die ihre Tochter unbedingt mit dem Sohn des wohlhabenden Weinbauern Thomas (der ihr selbst zu gut gefällt) verkuppeln will, ihr wegen ihrer Widerspenstigkeit den Hinter versohlt und mit dem Mägden in kanarigelben Holzschuhen über das Bühnenfeld steppt, dass es nur so klappert, mit hinreißender Spielfreude und raffiniertem Humor. Das reine Vergnügen.
Die einfache Handlung, die ländlich idyllische Stimmung, das köstliche Ballett des stolzgeschwellten Hans mit seinen vier Hennen, ein lebendiges etwas unwilliges Pony und das zu erwartende gute Ende der lockeren Liebeständelei lassen leicht vergessen, dass Ashton es den Tänzerinnen und Tänzern nicht leicht macht. Da müssen die Bauernmädchen einen dem Volkstanz entlehnten „Bandltanz“ hinlegen und die Solotänzerin (Konovalova) muss in einer Variationen gar den Baum spielen, der die Bänder hält, vom berühmten „Pas de ruban“ von Lise und Colas gar nicht zu reden. Oder doch: Perfekt gelang Konovalova und Gabdullin das abzuwickelnde Muster. Dieses so unerzogene Mädchen ist für das Publikum leichte, entspannende Unterhaltung, für das Wiener Staatsballett jedoch harte Arbeit. Der sich Lazik und Kimoto, Gabdullin und Konovalova mit ansteckender Fröhlichkeit hingaben.
Mitgerissen und mitreißend war auch Paul Connelly, der das Wiener Staatsopernorchester geleitet hat. Man meinte ihn samt seinen Musiker_innen inmitten der Strohballen tanzen zu sehen, so einfühlsam (im Piano) und schwungvoll (im Forte) ließ er die leitmotivische Hérold-Bearbeitung Lanchberys aus dem Orchestergraben steigen.
„La Fille mal gardée“, Ballett in zwei Akten nach einem Libretto von Jean Dauberval. Choreografie: Frederick Ashton, Bühnenbild und Kostüme: Osbert Lancaster. Wiederaufnahme (63. Aufführung) am 28. 11. 2015. Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Weitere Vorstellungen in der selben Besetzung: 9., 12. Dezember 2015. Am 17. 12. Tanzt Maria Yakovleva die Lise; Denys Cherevychko ist Colas, Dumitru Taran Alain. Die Witwe Simon bleibt Roman Lazik.