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Thoss, Wheeldon, Robbins – 2. Premiere

"Blaubarts Geheimnis": Gala Jovanovic (die Mutter), Eszter Ledàn (Judith). © Wiener Staatsballett / Michael Pöhn

Die alternative Besetzung nahezu aller Rollen des neuen Repertoire-Abends mit drei unterschiedlichen Choreografien – „Blaubarts Geheimnis" (2. Teil) von Stefan Thoss, „Fool’s Paradise“ von Christopher Wheeldon, „The Four Seasons“ von Jerome Robbins – zeigte welch großartiges Ensemble das Wiener Staatsballett unter Manuel Legris ist. Nahezu alle Rollen der drei Stücke sind Debüts, nur die Damen und Herren des Corps und wenige Solistinnen haben schon die erste Premiere getanzt.

Allen voran muss Ionna Aavraam genannt werden, die als Vision Blaubarts ihre Verführungskünste ausspielt, in „Fool’s Paradise“ im Goldregen tanzt und zum Abschluss auch wieder als Winter auftritt. Eine Meisterleistung dieser immer wieder auffallenden Solotänzerin.
Eno Peçi, schon bei den Vorstellungen in der Volksoper, ein Blaubart, der einem das Herz zerquetscht, kann auf der großen Staatsopernbühne seine Rolle noch subtiler und genauer gestalten. Man möchte auf die Bühne springen und den armen Mann trösten, der so zerrissen ist, sich nicht von der Mutter lösen kann und trotz der vielen Geliebten von der Liebe nichts weiß. Ich habe nur verzichtet, weil sonst meine Nachbarin auch gesprungen wäre. Blaubart: Eno Peçi, Judith: Eszter Ledàn. © Wiener Staatsballett / Michael Pöhn

Die beiden Frauen im aktuellen Spiel – Gala Jovanovic, die Mutter , Eszter Ledán, Judith, seine Retterin –, haben nicht versucht die TänzerInnen der Premiere (in der Volksoper: Dagmar Kronberger und Alice Firenze; in der Staatsoper: Rebecca Horner und Firenze) zu imitieren, sondern ihre eigene Interpretation gefunden. Wäre ein Vergleich aus der Fauna angebracht, so würde ich Kronberger und Horner als Schwarze Witwe bezeichnen, dieses Spinnentier, das die Männchen zum Fressen gern hat. Gala Jovanovic ist weniger herb und besitzergreifend, sie umgarnt den Sohn mit der List einer Schlange. Eszter Ledáns Judith (sie hat die Rolle bereits für die Serie des gesamten Balletts – in der Staatsoper wurde auf das Vorspiel, die „Präludien“, verzichtet – in der Volksoper studiert und ein Mal getanzt) ist ein mitfühlendes, sanftes Wesen, doch das Weiche bricht nicht. Oft mustert sie Blaubart mit einem nachsichtig-mitleidigen Blick , für die Mutter ist er voll Verachtung. Vorsichtig führt sie den Mann, der schon an Mord denkt, in die dunkelste Kammer, fügsam zeigt sie, was sie zu ertragen bereit ist. Methode Gandhi quasi.

Thoss’ Tanzsprache fordert von den Tänzer_innen ungewöhnliche expressive, Bewegungen, weit ausholende Arme, schlenkernde Beine, ein surrealer Tanz der Seelen. Nicht nur die Solisten mi Davide Dato als Blaubarts Alter Ego, auch das gesamte Corps beherrschen dieses schwierige Vokabular perfekt.

Ionna Avraam, Maria Yakovleba in "Fool's Paradise". © Wiener Staatsballett / Michael PöhnIn „Fools’s Paradise“ taucht der in England hoch angesehene Choreograf Christopher Wheeldon, acht Paare und einen Tänzer (die gleiche Anordnung wie in Shakespeares „Sommernachtstraum“) in goldenes Licht, lässt die Damen auf der Spitze tanzen und hoch über den Köpfen der Herren schweben. Liudmila Konovaloava, Maria Yakovleva, sind die Neuen, Avraam und Jovanovic haben auch die 1. Premiere getanzt; bei den Herren tanzen Denys Cherevychko und Masayu Kimoto die Partie zum ersten Mal, Roman Lazik, Greig Matthews und Richard Szabó haben sich bereits einmal der Illusion des perfekten Glücks hingegeben. Wheeldon, geboren 1973,ist ein zeitgenössischer Choreograf, der das Alte nicht gleich in den Mistkübel wirft, um mit Krampf nach Neuem zu grapschen. Er verstört nicht, zeigt harmonische Bewegungen und Konstellationen, ganz zur schwelgerischen Musik von Joby Talbot passend. Man darf genießen und sich an der Magie und Schönheit dieses unwirklichen Paradieses für Narren erfreuen. Roman Lazi, Liudmila Konovalova: "Fool's Paradise". © Wiener Staatsballett / Michael Pöhn

Zum Abschluss und zur Versöhnung mit den Freundinnen des klassischen Balletts Jerome Robbins’ „Vier Jahreszeiten“, die er zu Musik von Giuseppe Verdi 1979 mit dem New York City Ballet einstudiert hat. Avraam friert im Winter, Kiyoka (Kirschblüte) Hashimoto tanzt mit Masayu Kimoto in den Frühling, umgeben von vier sprungkräftigen Begleitern (eine Premiere für Francesco Costa, Marian Furnica, Trevor Hayden und James Stephens).

Alice Firenze muss sich nicht mit der Vergangenheit eines Mannes plagen, sondern darf mit Robert Gabdullin Sommer, Sonne und womöglich auch das Meer genießen. Wiegend und hüftschwingend bewegt sich auch die weibliche Entourage zu den orientalischen Klängen des Italieners.

Der Herbst ist eindeutig die schönste Jahreszeit, das haben Konovalova und Cherevychko bereits bei der ersten Premiere gezeigt. Geneckt und animiert werden sie diesmal von Richard Szabó, der als Faun herumspringt.

Alce Firenze tanzt in der  Sommersonne. © Wiener Staatsballett / Michael PöhnEine 2. Premiere hat auch den Vorteil, dass die Technik perfekt funktioniert, das Licht (vor allem das komplizierte, schnell wechselnde in Blaubarts Kammern) perfekt und Punkt genau glüht und auch die Pianistinnen (Laurene Lisovich in „Blaubarts Geheimnis“, Shino Takizawa in „Fool’s Paradise“) dem Dirigenten Alexander Ingram folgen und das Klavier nicht wie Berserker malträtieren. Schließlich ist sowohl die Musik von Philipp Glass („Blaubart“) wie auch die von Talbot eine romantisch-harmonische. So war sie samt dem differenziert phrasierten Verdi in dieser perfekten Vorstellung auch zu hören.

Die Leistungen der Tänzer_innen in diesem ideal zusammengestellten Programm wurde vom Publikum in der ausverkauften Staatsoper lautstark und anhaltend honoriert.

Thoss – Wheeldon – Robbins („Blaubarts Geheimnis“ (Ausschnitt), „Fool’s Paradise“, „The Four Seasons“), 2. Premiere in neuer Besetzung am 3.11. 2015, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Letzte Vorstellungen in dieser Saison: 6. und 10. November.