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Sasha Waltz.Tonkünstler: "Continu"

"Continu" im schwarzen Käfig. © Sebastian Bolesch

Die Berliner Choreografin und Opernregisseurin Sasha Waltz lässt sich gern von Räumen inspirieren. Da hat ihr die Einladung gefallen, mit ihrer Compagnie das restaurierte Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und das neu von Zaha Hadid erbaute MAXXI (Museum des 21. Jahrhunderts) in Rom tanzend zu eröffnen. Aus Elementen dieser beiden Performances hat Waltz eine Bühnenversion erstellt. Im Festspielhaus St. Pölten wurde „Continu“ erstmals von einem Orchester unterstützt.

Lange hat sich Sasha Waltz gewünscht, dass das musikalische Zentrum des zweiteiligen Tanztheaters, „Continu“ (Fortsetzung), die Komposition „Arcana“ von Edgar Varèse, live von einem großen Orchester umgesetzt würde. In St. Pölten ist es endlich gelungen und das Tonkünstlerorchester unter Pietari Inkinen hat das schwierige, an alchemistischen Geheimnissen und der Astronomie des Paracelsus orientierte, Werk („Es gibt sechs etablierte Sterne. Daneben gibt es noch einen anderen Stern, die Phantasie, die einen neuen Stern und einen neuen Himmel gebiert.“) mit atemberaubender Intensität und aufwühlender Klangfülle realisiert. Außerdem setzt Waltz auch Varèses frühes Werk „Hyperprism“ für neun Blasinstrumente und Schlagwerk und „Ionisation“ für 13 Schlagwerker ein.
Waltz schließt im ersten nahezu eine Stunde dauernden Teil die Tänzerinnen und Tänzer in einen hermetischen schwarzen Raum ein. Sie sind geschützt, doch es gibt kein Entkommen.
So war es auch im Paradies. Erst die Vertreibung gab Freiheit.

Bevor Varèses Orchestergewitter einsetzt, muss die Percussionistin, Robyn Schulkowsky, für zwei von Iannis Xenakis (1922–2001) komponierte Schlagzeugsolos extensive Körpergymanstik betreiben. Dazu bewegen sich sechs Frauen, schwarzgekleidet, im schwarzen Kubus. Sie sind eine Familie und fröhlich tanzende Mädchen, nahezu knochenlos, leidende Mütter, die sich die Brüste kneten, Priesterinnen mit zum Himmel gereckten Armen und wohl auch Amazonen. Das Schlagzeug treibt sie an und zwingt sie zu minimalistischen Bewegungen, wenn es schweigt.

Expression. Dann aber braust der Orchestersturm los und die gesamte Compagnie ist auf der Bühne, Chaos bricht aus, das sich in Ordnung wandelt, um wieder in Chaos zu zerfallen, die Masse ballt und balgt sich. Das sich verändernde Licht lässt die schwarzen Wände metallisch schimmern, bewegte Bilder entstehen, auch wenn die Choreografin keine Geschichte erzählt: Menschen, die einander bekriegen, die ausgeliefert sind und hungern; Flüchtlinge rennen um ihr Leben, Traurige werden getröstet, Verletzte gepflegt, die Agressionen lassen sich kaum noch beherrschen. "Continu" – Tröstliches Finale. © Sebastian Bolesch

Expressiv ist der Tanz, doch etwas gleichförmig. Eine typisch Waltzsche Tanzsprache ist nicht zu erkennen, dafür beeindruckt die ungebrochene Energie der Tänzer_innen. Der Raum bildet ein kommunizierendes Gefäß in dem Musik und Tanz einander antreiben, immer auf gleicher Höhe sind.
Was Varèse vorgeschwebt ist, die Erschaffung einer neuen, besseren Welt gelingt nicht. Am Ende sind die Menschen nur noch Schatten, liegen in der beklemmenden Stille erschöpft auf dem Boden. Ein Fluchtweg könnte sich zum Himmel, oben in der schwarzen Rückwand öffnen, doch es ist nur das Sichtfenster für die Bläser, die von einer Empore herab „Hyperprism“ intonieren.
Sirenen heulen auf, der Stoßtrupp arbeitet sich vor, Kampf und Hass und Angst – Tod. Der Erschießungskommandant kennt keine Gnade. Ausweg ist keiner zu sehen.Das Paradies – eine Schreckensvision.

Pause

Introspektion. Vielleicht gibt es Erlösung im zweiten Teil, den Waltz „den weißen“ nennt, weil die Kostüme nun ganz hell sind, auf dem Boden ein weißer Teppich liegt, nach und nach wird er mit bunter Kreide bemalt, die von den tanzenden Füßen zu abstrakten Bildern verschliffen wird. Kühle Introspektion nun statt wilder Expression, zur Musik für 13 Streicher („Zipangu von Claude Vivier) kühl und auch an die Inhalte des Neuen Museums, die ägyptische und Antiken Sammlung vor allem, erinnernd. Soli wechseln mit Pas de deux, aus weiter Ferne erklingt süße Musik, sanfter Hall aus der Vergangenheit: Das Adagio aus Mozarts Quartett für Oboe, Violine, Viola und Violoncello, F-Dur.
Choreografin Sasha Waltz  © Andre Rival Nichts regt mehr auf, wir sind beruhigt und dürfen nach Hause gehen.

Mit dem „schwarzen Teil“ allein würde ich nicht gerne entlassen worden sein, auch die Gedanken sind dabei schwarz geworden. Dann hat doch die Harmlosigkeit gesiegt, fast ein Ballett wird gefeiert, mit vielen Hebungen, intimen kleinen Ensembleszenen und dem üblichen Aufrollen des Teppichs. Was wird da drunter gekehrt? Jedenfalls nicht die Tatsache, dass man das Publikum versöhnet entlassen muss. Sonst kommt es nicht wieder.

Sasha Waltz. „Continu“, 25. 9. 2015, Festspielhaus St. Pölten, erstmals mit großem Orchester. Pietari Inkinen dirigierte das Tonkünstler –Orchester Niederösterreich. Dramaturgie: Jochen Sandig.
2. Vorstellung am 26. September.
Am 15. und 16. Oktober 2015 gastiert Sasha Waltz & Guests mit dem erstmals in Österreich gezeigten Eröffnungsstück für die neu orientierte Berliner Schaubühne (2000) „Körper“ im Tanzquartier.