Faust-Theater im TAG
An Goethes Klassiker sind schon viele Inszenierungen gescheitert, die ihn kategorisch in die Gegenwart transferieren wollten. Auch die wundersamen Knittelverse vertragen keine Übersetzung in moderne Vulgärsprache. Einen Geniestreich bietet dagegen Gernot Plass mit seiner Bearbeitung am TAG Theater in der Gumpendorfer Straße. Unbedingt anschauen!
Die häufig geäußerte Meinung, dass der „Faust. Eine Tragödie“ passé sei, verzopft und nichts mehr mit der Gegenwart zu tun habe, führt sich schon dadurch ad absurdum, dass noch in der heutigen deutschen Sprache ständig jede Menge Zitate die Konversationen füllen. „Die Botschaft hör ich wohl, allein mit fehlt der Glaube“ zum Beispiel. Oder „Aus den Augen, aus dem Sinn“, oder „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“.
Auf jeden Fall ist das Werk mehr als ein Theaterstück. Es ist eine philosophische Parabel, eine phantastische Geschichte, eine komplexe Dichtung im Versmaß mit einem wunderbaren Sprachklang. Es ist eine Ikone, ein großartiges Stück Kunst. Und wenn man sich daran messen möchte, sollte einem schon etwas Besonderes einfallen. Autor und Regisseur Gernot Plass, seit 2013 auch künstlerischer Leiter des TAG, ist zwar schon beinahe routiniert in der Bearbeitung klassischer Vorlagen, aber das heißt ja nicht, dass es immer gelingt.
Plass behält die Struktur des „Faust“ im Wesentlichen bei. Nur macht er mit Hilfe des Vorspiels auf dem Theater ein „Stück im Stück“ daraus. Schließlich geht es um die Kernfrage jedes Theaters: Wie kriegen wir die Bude voll? Theaterdirektor, Dichter und Schauspieler (Jens Claßen, Raphael Nicholas, Georg Schubert) nehmen sich in dieser Fassung viel Zeit für die Beantwortung. Der Prolog im Himmel wird mit dem Vorspiel verwoben, und schon sind wir in Faustens Studierzimmer. Julian Loidl ist ein Gelehrter mit Nerd-Charisma in ausgeleierter Strickjacke, Jens Claßen ein entspannter Mephisto, der auch den Pudel glaubhaft hinüberbringt.
Nichts fehlt. Auerbachs Keller oder die Walpurgisnacht fehlen zwar, aber sie fehlen nicht wirklich. Es geht konzise zum Wesentlichen, der Begegnung mit Gretchen. Elisabeth Veith in Leggings und Sneakers spielt diese eindringlich und ohne jeden Kitsch. Überhaupt wird das ganze Stück nie zur Schmiere, selbst die Szene mit Marthe Schwerdtlein gerät nicht zur Posse, obwohl Georg Schubert als die berühmte Kupplerin mit Perücke und Perlenkette auftritt.
Aber Witz gibt es sehr wohl, ebenso Tempo. Die „Überschreibung“, wie Plass seine Methode nennt, hat einen zeitgemäßen, feinen und fast ebenbürtigen Text ergeben, der ohne die berühmten Zitate auskommt, auch wenn sie immer, wie Obertöne, mitschwingen. Diese Sprache klingt ausgesprochen gut, was natürlich auch den erstklassigen Schauspielern zu danken ist. Plass ist ein echter Theaterautor, der weiß, wie auf der Bühne gesprochene Worte funktionieren. „Faust-Theater“ ist eine der besten Aufführungen, die derzeit auf Wiener Bühnen zu sehen sind. Großartig!
Faust-Theater. Frei nach Goethes „Faust“ von Gernot Plass. Uraufführung im Februar 2015, Wiederaufnahme-Premiere: 22.9. TAG, Theater an der Gumpendorfer Strasse.
Nächste Vorstellungen: Fr. 25. + Sa 26. September, 20 Uhr, Fr 23., Sa 24., Di 27. + Mi 27. Oktober 2015, 20 Uhr,
Fr 6., Sa 7. + Mo 9. November 2015, 20 Uhr.