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Tokyo Ballet: Maurice Béjart: „The Kabuki“

Noch wissen die Frauen nicht,, dass Fürst Enya Hangan tot ist. Sie feiern.

Blutige Rache. Bei einem Treffen der Fürsten, beleidigt Gouverneur Morono den Fürsten Enya Hagan. Dieser zieht sein Schwert. Zur Strafe muss Hangan Seppuku, den rituellen Selbstmord, verüben. Seine Krieger, die Samurai, sind nun herrenlos, müssen als Ronin, umherwandelnde Personen, ihr Leben fristen. Doch sie schwören Rache, töten Morono und stoßen sich dann selbst das Schwert in die Seite. 47 Ronin sterben im Schnee durch Seppuku. „The Kabuki“, Herzstück des Repertoires, hat das Tokyo Ballet zu Saisonschluss in der Wiener Staatsoper gezeigt.

Die Choreografie des west-östlichen Balletts stammt von Maurice Béjart (1904 bis 2007). Er wählt das japanische Heldenepos aus dem 18. Jahrhundert als Grundlage für sein Ballett „The Kabuki“, das er für das eben erst gegründete (Tchaikovsky Memorial) Tokyo Ballet 1968 geschaffen hat. Dan Tsukamoto ist Yuranosuke, der Anführer der Ronin.Toshiro Mayuzumi (1929– 1997), der schon für Balanchines einaktiges Ballett, „Bugaku“, komponiert hat, liefert auch für „The Kabuki“ die Musik. Mayuzumi folgt dabei Béjarts Idee, japanische Tradition mit Moderne, westliche mit fernöstlicher Kultur zu vereinen. Japanische Instrumente wechseln mit bombastischer Filmmusik; Spitzentanz mit ritualisierten Bewegungen und Akrobatik.

Béjart verwendet die Spielformen des japanischen Kabuki-Theaters, in dem Tanz, Pantomime und Gesang mit farbenprächtigen Kostümen das Publikum nahezu einen Tag lang unterhalten. Deutlich zeigt Béjart die sogenannte „Mie“ (das Aussehen, das Sichtbare), eine charakteristische Pose der Darsteller, die sekundenlang einfriert, sodass sie genau studiert werden kann und Gelegenheit für den Applaus und Hochrufe gibt. Auch die im Profil trippelnden Damen, die Kopf schief haltend und den Oberkörper in einem schrägen Knicks zur Seite biegend, verwendet Béjart in seiner Choreografie. Zahlreiche Drucke kursierten gegen Ende des 20. Jahrhunderts in einem ebenso durch die zahlreichen Samurai-Filme (aus Japan und Hollywood), aufgeblühten Neo-Japonismus auch in Mitteleuropa.Eine Show im Teehaus. Yurika Mikumo als schwebende Jungfrau.

Auch die schwarzen (unsichtbaren) Figuren, die Darstellern Gegenstände reichen oder Objekte auf der Bühne verschieben, huschen bei Béjart auf die Bühne. In „The Kabuki“ dienen sie auch als Kleiderständer für die kostbaren Mäntel, die die Tänzerinnen ablegen, wenn sie sich auf Spitze bewegen.
Béjart will auch Tradition und Gegenwart verschmelzen und setzt der Handlung einen Prolog voran, der im modernen Japan spielt. In einer Disco tanzen junge Männer mit ausdruckslosen Gesichtern, tippen auf imaginäre Computer, tauchen mittels einer VR-Brille in eine virtuelle Realität, während die Bildschirme flackern und zucken. Ein verträumter junger Mann hält sich abseits und bekommt von einem unsichtbaren Diener ein altes japanisches Schwert überreicht, das er bewundernd an sich nimmt. Aus dem Off erklingt lyrischer japanischer Gesang. In der Disco bekommt der junge Mann (Dan Tsukamoto) das alte Schwert. Die Szene wechselt, der junge Mann taucht in die Vergangenheit ein und wohnt dem Beginn von „Chushingura“, der Geschichte der 47 Samurai bei. Anfangs ist der Gast aus der Zukunft unbeteiligter Beobachter der komplizierten Handlung (Kabuki soll langsam beginnen, sich allmählich steigern und schnell enden), später wird er selbst darin verwickelt und übernimmt die Rolle von Yuranosuke, des obersten Gefolgsmannes des durch Seppuku verstorbenen Fürsten Enya Hangan. Der Geist Enyas kann nicht ruhen und will Yuranosuke bitten, ihn zu rächen, doch er verwechselt seinen treuen Krieger mit dem Discojüngling, der nun den Rachefeldzug der Ronin zum blutigen Ende führt. Rot leuchtet die Sonne auf den gefallenen Schnee, wenn die Ronin, die Morono geköpft und seinen Hofstaat vernichtet haben, Seppuku begehen.
Dan Tsukamoto tanzt seit vielen Jahren die Doppelrolle des jungen Mannes, die ihm auch stilistisch mit Béjarts wie dem traditionellen japanischen Bewegungsvokabular als Bindeglied zwischen Europa und Japan ausweisen.Yuranosuke (Dan Tsukamoto) muss den Tod seines Herrn rächen.

Dass er, nahezu ständig auf der Bühne, am Ende mit frenetischem Applaus bedacht worden ist, verwundert nicht, auch wenn Béjart den japanischen Tänzerinnen und Tänzern keine großen Schwierigkeiten in den Solos und Pas de deux abverlangt. Die Damen tanzen auf Spitze oder trippeln auf flachen Füßen, lieblich geneigt, über die Bühne. Die traditionelle Schminke lässt ihre zarten Gesichter wie Porzellan leuchten. Die kriegslüsternen, rachedurstigen Samurai wirbeln durch die Luft und springen durch Papierwände, tanzen präzise und bestens trainiert, wie ein Heer von aufgezogenen Puppen.

Weitere Hauptrollen hat ein Liebespaar mit tragischem Schicksal. Das Paar, die Hofdame Okaru und der Samurai Kampei, ist verdoppelt, tanzt und agiert sowohl in der Gegenwart wie auch in der Vergangenheit und wird von vier Tänzer*innen, die meist gemeinsam auf der Bühne sind, verkörpert. Identifizierbar ist auch ein Spion, der auf Befehl Morenos das Tun der Ronin beobachten soll und im bunten Gewand mit akrobatischem Versteckspiel auch eine lustige Figur sein könnte.Der Hofstaat des toten Fürsten trauert. Der Hofstaat des toten Fürsten trauert.

Nuno Côrte-Real hat das an japanische Architektur mit bemalten Landschaften im Hintergrund und Paravents erinnernde Bühnenbild sowie die farbenprächtigen Kostüme in Gold und Rot, Schwarz und Weiß geschaffen. Auch wenn die in neun Szenen erzählte Geschichte komplex ist und man ihr durch stets neu auftauchende Personen nur schwer folgen kann, die japanische Musik befremdlich und die rituellen Gesten des japanischen Theaters nicht immer verständlich sind, ist doch ein buntes, exotisches Abenteuer zu erleben. Mizuka Ueno tanzt die Frau von Enya Hangan, die von Gouverneur Moreno belästigt worden ist. Schade, dass die Musik vom Band gespielt werden musste. Die Virtuosen der traditionellen japanischen Instrumente und den Sänger zu sehen, hätte die Anstrengung der Handlung und den fremden Klängen zu folgen, etwas vermindert.

Nach Mord, Totschlag und Seppuku ist der Tod Enyas gerächt, tapfer haben die Ronin gekämpft. Des Beleidigers, Morono, Kopf ist auf einem Pfahl ausgestellt, sein Hofstaat ist vernichtet. Was bleibt, ist Seppuku für die ehemaligen Samurai. 47 heben unter der roten Sonne das tödliche Schwert.
Die Tänzer*innen erhalten vom verbliebenen Publikum (nach der Pause haben sich Stehplatz und Parterre sichtbar geleert) mit krätigem Applaus begeisterten Dank.

Maurice Béjart: „The Kabuki“, Musik: Toshiro Mayuzumi; Bühnenbild und Kostüme: Nuno Côrte-Real. Tokyo Ballet in der Wiener Staatsoper. Gastspiel am 2., 3., 4. Juli 2019.
Die aktuellen Fotos hat Ballettfotograf Ashley Taylor gemacht. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor