Zum Hauptinhalt springen

„Le Corsaire“. Géraud Wielick als Lanquedem

Drei zierliche Odalisken (Natascha Mair, Nikisha Fogo, Nina Tonoli).

Mit dem romantischen Ballett „Le Corsaire“, nach Vorbildern von Manuel Legris zu einem Pasticcio aus Noten verschiedenster Ballettkomponisten für das Wiener Staatsballett choreografiert, haben vor allem Wienbesucher*innen und Opernfreund*innen, die in ihrem Abonnement auch ein Ballett in Kauf nehmen müssen, ihre Freude. Im exotischen Ambiente rollt eine einfache, leicht verständliche Handlung ab, die Kostüme sind bunt, die Burschen tapfer, die Mädchen schön. Der Erfolg ist garantiert, auch bei der Wiederaufnahme am 2. Mai.

Géraud Wielick als Frauenhändler Lanquedem, ein großartiges Debut. Die drei Akte durchzuhalten, gelingt lediglich durch den Einsatz und die Kunst des Wiener Staatsballetts mit seinen hervorragenden Solistinnen und Solisten. Das Publikum weiß das zu estimieren und hat sich  vor Begeisterung kaum fassen können. Immer wieder mussten Nina Poláková und Ioanna Avraam ihren Knicks machen, Denys Cherevychko und Géraud Wielick (Debüt als Lanquedem) sich verbeugen.

Denys Cherevychko ist der einzige und wahre Conrad, zumindest bis Davide Dato die Titelrolle übernehmen wird, was für die Vorstellung vom 27. Mai angekündigt ist.Denys Cherevchko (Conrad, der Freibeuter), Nina Poláková (Médora, die von Conrad gekauft wird). Im Grand Pas des 2. Aktes mit Nina Poláková als Médora hat er mit seinen hohen federnden Sprüngen (mühelos gelingt ihm ein Ballon), den rasanten Drehungen und einer eleganten Manege endlich Stimmung in den Saal gebracht. Poláková ist eine energische Médora, die mit makellosen Spitzentanz, Fuettes und Drehungen entzückt und sich im Pas de deux Partner Cherevychko in nahezu inniger Harmonie anvertraut. Dieser Conrad, ein Pirat und Frauenräuber, ist im Grunde, wie sämtliche anderen Figuren dieses heute nur noch als altes Märchen zu ertragenden Librettos, kein Sympathieträger. Cherevychko, dem ja meist auch er Schalk im Nacken sitzt, schafft es, aus diesem Piraten und Frauenräuber einen netten Kerl zu gestalten, dem man die schöne Médora gerne gönnt. Sowohl Poláková wie auch Cherevychko haben Freude an ihren Rollen, das ist an ihrer Interpretation deutlich zu sehen. Dass sich sowohl Médora, die von Conrad Lanquedem abgekauft wird wie auch Gulnare, die sich der Pascha ins Schlafzimmer holt, sofort in ihre Herren verliebt sind, mutet etwas seltsam an. Den Inhalt dieses Balletts sollte man schnell vergessen, um das Vergnügen am Tanz zu bewahren.

Kiyoka Hashimoto (Gulnare), Géraud Wielick (Lanquedem).Mit Körperspannung bis in die Fingerspitzen, einer ausdrucksvollen, feinst erarbeiteten Mimik und strahlender Bühnenpräsenz, begeistert Géraud Wielick in jeder Rolle. Der vom Choreografen etwas stiefväterlich behandelte Sklavenhändler Lanquedem ist auch nicht gerade ein erwünschter Schwiegersohn. Die Rolle des Bösen zu tanzen, ist meist eine Herausforderung und wenn dieses so anziehend und perfekt gelingt, dann bekommt es auch, also er, der Rollenträger Wielick, den verdienten Applaus. Wielick hat als Joseph in John Neumeiers „Sacre“ ebenso reüssiert wie in seiner Choreografie der „Josephs Legende“ (Musik Richard Strauss) oder als Feuervogel in Andrey Kaydnovskiys gleichnamigem Ballett. Er ist reif für das Avancement zum Solotänzer.

Davide Dato erfreut als schäbiges Mitglied der Crew Conrads Birbanto. Mit der Inselbewohnerin Zulméa (immer wieder ein Vergnügen: Ionna Avraam) tut er sich zusammen, um Conrad auszutricksen. Es wäre kein romantisches Ballett, wenn es ihm gelänge. Dato bezaubert durch Kraft und Bühnenpräsenz, die er auch beibehält, wenn die Choreografie verlangt, dass er am Rand steht und nichts zu tun hat. Niemals fällt er aus der Rolle.Ionna Avraam (Zulméa), Davide Dato (Birbanto): Ein quirliges Paar.

Dass die drei Odalisken (Nikisha Fogo, Natascha Mair, Nina Tonoli) eine Augenweide sind und in wippenden Tutus ihre Variationen wie Perlen über die Bühne kullern lassen, muss nicht betont werden. Dass das Publikum auch dem Dirigenten Valery Ovsyanikov seine lautstarke Reverenz erwiesen hat, kann ich nicht ganz verstehen. Die zusammengewürfelte Musik (neben Adam hat auch Leo Delibes Noten gespendet, ebenso Cesare Pugni und Riccardo Drigo und noch einigen andere, deren Namen mir nichts sagen – ausgewählt und gemixt von Igor Zapravdin) bekommt keinen Fluss, die Gruppentänze klingen wie Jahrmarktsmusik, und auch die Adagio-Stellen schmeicheln sich nicht in die Ohren. Dirigent und Orchester können den Fleckerlteppich nicht zusammenflicken. Darunter leidet wohl im ersten Akt das Corps, durch zahlreiche Debuts auch neu gemischt, wird nicht so recht klar, was die verschleierten Damen und gestiefelte Herren so darstellen. Entfesselt: Denys Cherevychko als Conrad, der Korsar. Kiyoka Hashimoto zeigt im berühmten Pas d’Esclave, dass sie keine Gulnare ist, ihre Reize auszustellen fällt der ersten Solisten schwer. Erst im „lebenden Garten“ kann sie zeigen, welch feinfühlige Tänzerin sie ist. Diese Einlage geben winzigen Buben und Mädchen der Ballettakademie Gelegenheit für einen Auftritt auf der großen Bühne unter Blumengirlanden. Das ist fein (und bringt jede Menge Eltern, Tanten und Großeltern ins Haus), aber die Chose ist etwas zu lang, Mihail Sosnovschi als würdiger Seyd Pascha. ab da zerrinnt die Choreografie, und wäre nicht der großartige, finale Schiffbruch im tosenden Meer, könnte man die Vorstellung getrost verlassen.
Noch sieben Mal ist „Le Corsaire“ in dieser Saison zu sehen. Doch, keine Sorge, Legris presst seine Choreografie auch in die nächste, seine letzte, Saison. So kostbare Ballette wie „Onegin“ (John Cranko) oder „Manon“ (Kenneth MacMillan) negiert er jedoch völlig. Glücklicherweise werden gerade diese und viele andere wichtige Choreografien nicht aus dem Repertoire verschwinden.

„Le Corsaire“, Ballett in drei Akten. Choreografie: Manuel Legris nach Marius Petipa und anderen; Bühnenbild und Kostüme: Luisa Spinatelli; Dirigent Valery Ovsyanikov 23. Aufführung am 3. Mai 2019. Wiener Staatsballett, Staatsoper.
Nächste Vorstellungen: 10., 13., 15. Mai 2019.
Fotos von Ashley Taylor, © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor.