Die Leuchtturmwärterin – Chr. Schwarz
Im Jahr 1898 verlässt um der Liebe willen ihre gutbürgerliche Familie und zieht mit ihrem frisch angetrauten Mann an die wilde Küste Kaliforniens. Gemächlich, in einfachen Sätzen erzählt die Amerikanerin Christina Schwarz vom Leben am Rand der Welt und dem Geheimnis, das die dort ansässige Familie Crawley bewahrt.
Als Trudy sich knall und fall in den Cousin des für sie ausersehenen Bräutigams verliebt, ahnt sie nicht, dass sie ihr altes Leben verlassen muss und in ein neues, schwieriges eintreten wird. Oskar, ihr Held, ist ein Fantast und Wirrkopf, der vieles anfängt aber nichts fertigbringt. Trudy ist vor Liebe blind, heiratet Oskar im Blitztempo und folgt ihm an die Pazifikküste nach Point Lucia, wo die Crawleys – Mutter, Vater, vier Kinder – den einsam stehenden Leuchtturm warten. Oskar wird ihr Helfer sein. Es dauert lange, bis Trudy erkennt, dass sie ihre weißen Leinentischtücher und das Silberbesteck nicht benötigen wird und sie sich mit dem rauen Leben an der Küste abfindet. Als sie beginnt die vier Kinder der Crawleys, die weder lesen noch schreiben können und keine Ahnung von der Welt außerhalb ihres winzigen Universums haben, zu unterrichten, findet sie auch Anschluss an die gestrenge, hartherzig scheinende Mrs. Crawley und fast eine Freundin in ihr. Und allmählich entdeckt sie auch das Geheimnis, das das Leben der Crawleys bestimmt.
Schwarz, in ihrer Heimat eine bekannte Autorin, erzählte mit den Tagebüchern von Trudy von der Emanzipation einer behüteten Tochter, von der schweren und wichtigen Arbeit im Leuchtturm und der wilden Natur am Ende der Welt. Oskar steht für das im 19. Jahrhundert grassierende Interesse am Fremden und an den „Wilden“, der Urbevölkerung, aber auch für den mit dem wissenschaftlichen Interesse einhergehenden Rassismus bis zur Menschenverachtung. Oskar geht daran und an seiner Gier nach Erfolg und Berühmtheit elend zugrunde, was Trudy erlaubt, noch einmal ein ganz neues Leben zu beginnen. Sie ist jetzt die Leuchtturmwärterin.
Eingerahmt ist die Geschichte von Trudy durch den Bericht einer alten Dame, die mit ihrem Enkel die Touristenattraktion Point Lucia besucht, um den Leuchtturm zu besteigen. Sie ist auf Point Lucia, 100 Meter über dem Meer, aufgewachsen und übergibt ihrem Enkel Trudys Tagebücher.
Auch wenn die Geschichte sich nur langsam entwickelt und man sich anfangs vor allem an der Schilderung von Wind und Meer delektiert, so lauert dieses Geheimnis bald hinter den schroffen Felsen und Trudy entdeckt den ersten Hinweis in einem alten Logbuch: „Baby Johnston geboren und begraben.“
Eine fesselnde Lektüre mit lebendigen Charakteren und einprägsamen Naturschilderungen. Lesegenuss für Geduldige.
Christina Schwarz: Die Leuchtturmwärterin (The Edge oft he Earth), übersetzt von Almuth Carstens, btb 2016. 320 S. € 10, 30.