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Mia Hansen-Løve: „Alles was kommt“

Isaelle Huppert ist Nathalie in "L'Avenir" © filmladen / Ludovic Bergery

„Lavenir“, die Zukunft, nennt Mia Hansen-Løve ihren jüngsten Film. Eine langjährige Ehe geht in die Brüche, der Mann hat eine andere gefunden. Nathalie ist überrascht, weiß nicht wie es weitergehen soll, zumal er mit den ihr wichtigen Büchern ihr halbes Leben mitgenommen hat. Nicht was passiert, eigentlich passiert ohnehin nichts, sondern was diese Einbrüche von Trennung und Scheidung mit Nathalie machen, erzählt der Film.  Isabelle Huppert ist die Darstellerin der Philosophie-Professorin Nathalie; André Marcon spielt Heinz, den untreuen Ehemann, Roman Kolinka den einstigen Lieblingsschüler.

Eigentlich sollte sie nun frei sein, Nathalie, die Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Doch wie gewähnt man sich an eine nie genossene Freiheit, auch wenn die Ehe schon nur noch Routine, ein nebeneinander Herleben war? So ganz frei ist Nathalie erst, wenn die obsessive, anspruchsvolle Mutter gestorben ist und sie auch deren Kater los ist. Wer Jahrzente lang Verantwortung getragen hat, macht den Sprung in die Leere nicht so schnell. Zumal nicht nur die Ehe zerbrochen ist, auch ihr Vertrag mit einem Lehrbuch-Verlag wird aufgelöst. Neue Zeiten sind angebrochen, mit Mitte vierzig ist sie nicht mehr en vogue, zu wenig flapsig ist ihr Stil. Doch Nathalie macht einfach weiter, unterrichtet, liest, plant neue Publikationen. Auf Fahrten zwischen Paris und der Bretagne und später in den Vercors zu ihrem einstigen Lieblingsschüler Fabien  lernt sie die Freiheit allmählich kennen und auch zu genießen. Sie ist offen Für „allws was kommt“. Mit Fabien im Park (Huppert, Kolinka) © filmladen / Ludovic Bergery

Hansen-Løve inszeniert mit leichter Hand und leisem Humor, sie interpretiert nicht, sondern zeigt in vielen kleinen Szenen, was in Nathalie vorgeht und wie sie sich entwickelt. So unspektakulär der Film daher kommt, so nüancenreich und anregend ist er. Die Regie kommt nahezu ohne Musik aus (wie angenehm!). Die Zuschauerin folgt Nathalie in ihrer (ganz normalen) Tätigkeit. Sie steht in in der Vorlesung, räumt das Haus des Ehemanns in der Bretagne aus, besucht die Mutter, begräbt sie, empfängt die Kinder zum Weihnachtsessen (und schmeist den Ex hinaus, der im gleichen Trott lebt wie zuvor und für die Ferien – auch er ist Philosphieprofessor – eignelassen worden ist), diskutiert im gastfreundlichen Haus von Fabien mit seinem Freundeskreis. Erstaunlich, auch dort, bei den Progressiven und Alternativen, sind es die Frauen, die das Geschirr abräumen und abwaschen.
Dann wird sie Großmutter – es gib eine Zukunft.

 Nathalie ifreut sich über das Baby ihrer Tochter. © filmladen / Ludovic BergeryDann wird sie Großmutter – es gib eine Zukunft.Am Ende, wenn Dietrich Fischer-Diskau das Schuberlied „Auf dem Wasser zu singen“ („…Ach, auf der Freude sanftschimmernden Wellen Gleitet die Seele dahin wie der Kahn…“, haben wir eine Frau kennengelernt, die sich nicht unterkriegen lässt, auch wenn sie scheinbar vor dem Nichts steht. Auf der Fahrt mit Fabien in dessen Haus in den französichen Alpen legt dieser eine CD von Woody Guthrie ein: „Ship in the Sky“ spielt er immer, wenn er autofährt.

Nathalie gibt keine Befindlichkeitsnachrichten von sich, Mia Hansen-Løve, Berlinale 2016. © Paul Katzenberger / Wikimediaestolpert einfach vorwärts und findet endlich sich selbst. Letztlich bin ich auch mit der Darstellerin Isabelle Huppert zufrieden, auch wenn sie meistens schaut, als hätte ihre die Hühner das Brot weggefressen. 

„Lavenir / Alles was kommt“ wurde bei der Berlinale 2016 mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet.

„Alles was kommt“ von Mia Hansen-Løve mit Isabelle Huppert, André Marcon, Roman Kolinka u.a.
Viennale: 25. und 29. Oktober im Gartenbaukino.
Ab 4. 11. in den Kinos. Im Verleih von Filmladen.