Junge Talente – Zum Beispiel Greig Matthews
In drei Vorstellungen dürfen junge Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne der Volksoper ihr Talent zeigen. Nicht nur TänzerInnen, die bereits in Solorollen aufgefallen sind, präsentieren sich dem Publikum, auch so manche NewcomerInnen und Mitglieder des Corps des Wiener Staatsballetts werden in einem vielfältigen Programm ihrem Mentor und Direktor Manuel Legris alle Ehre machen.
Einer der in der Reihe ohnehin bereits weit vorne steht ist Greig Matthews, geboren 1994 in Aberdeen / Schottland. Wie jung er ist, hat sogar Legris vergessen, als er die Rollen für die Gala der aufstrebenden Talente verteilte. „Oh Greig, you are also a youngster“, dass er ein Talent ist, wusste der Ballettchef schon als er ihn 2011 engagierte. Damals war er 17 und wurde dennoch ein Jahr später zum Halbsolisten ernannt.
Als Masayu Kimoto sich mitten in der Vorstellung eines Abends mit Choreografien von George Balanchine, Jerome Robbins und John Neumeiers „Bachsuite IIi“ verletzte, wußte nur seine Frau, Kyoka Hashimoto guten Rat: „Greig kann das, ich weiß es.“ Greig wollte und konnte. Zwanzig Minuten hatte er Zeit, sich zu sammeln, was er im Kopf hatte, an den Körper weiter zu geben. „In zehn Minuten war ich im Kostüm, da wurde mein Einspringen schon vor dem Vorhang angekündigt. Ich musste hinaus.“ Dass Matthews nicht als Ersatz mittrainiert hatte, wusste das Publikum nicht. Noch nervöser als er, war sicher der Vater der Compagnie, Legris.
Aber alles ging gut. Auch die nächsten Vorstellungen durfte Matthews tanzen, danach, auch im Neumeier-Ballett „Vaslav“ stand er auf der Bühne und im Programm der „Jungen Talente“ hat ihm Legris eine besondere Rolle gegeben. Greig Matthews tanzt zwei Ausschnitte aus John Neumeiers Ballett „Spring and Fall“ zu Antonin Dvoraks populärer „Serenade für Streicher“, op. 22. Ein Werk, dass Manuel Legris selbst aus der Taufe gehoben hat. Eine Feuerprobe für den jungen Tänzer.
In den Blickpunkt rückte Matthews als er 2013 den Förderpreis des Ballettclubs erhielt. Legris setzte große Stücke auf ihn, ließ ihn den Des Grieux in Kenneth MacMillans „Manon“ einstudieren. Maria Yakovleva sollte die Partnerin sein. Doch im letzten Moment zog Legris die Notbremse. Matthews durfte nicht auf die Bühne. Ein harter Schlag. Und der nächste folgte mit der nächsten Chance. Mit Liudmila Konovalova durfte er den Siegfried in „Schwanensee“ einstudieren. Noch heute ist er begeistert, wie gut er mit der Ersten Solotänzerin harmonierte und wie zufrieden auch die eigens aus London geholte Trainingsleiterin, Olga Evreinoff, Gastlehrerin des Royal Ballet, mit dem Paar war. Legris entschied wieder: „Du packst es noch nicht. Warten wir ab.“ Evreinoff tröstete: „Deine Technik ist perfekt. Du wirst es schaffen.“ Und Matthews gibt nicht auf, kämpft sich durch die Niedergeschlagenheit, vertraut Legris und arbeitet daran besser und besser zu werden. „Heute weiß ich, dass Manuel richtig gehandelt hat und mich beschützen wollte. Und ich weiß, dass ich mich als Siegfried nicht blamieren werde.“ Auch mit der Des Grieux-Enttäuschung ist er fertig geworden: „Erstens ist das eine der schwersten Rollen des Ballettrepertoires, aber daran lag es nicht wirklich. Ich konnte nicht fühlen, wer ich da sein soll.“ Eine Frage des Alters, mit 19 ist es schwer eine Amour fou gegen alle Hindernisse glaubhaft darzustellen.
Tapfer kämpfte sich Matthews, der die die Royal Ballet School als jüngster Tänzer mit Auszeichnung abgeschlossen hat, aus dem Tief nach oben, zeigte seine schöne Linie, die sicheren Sprünge und perfekte Beinarbeit im Repertoire, sog alles auf, was die TrainingsleiterInnen (nicht nur zu ihm persönlich) sagten und wollte nicht aufgeben. „Meine Passion ist tanzen, auch im ersten Jahr in der Royal Ballet School, als ich alles hasste, die schwere Arbeit, die Ballettlehrerin, die Entfernung von zu Hause, kam ich nicht auf die Idee aufzugeben. Im Gegenteil, ich habe mir gedacht, dass ich es allen zeigen werde. Mein Talent ist auch, dass ich sehr begreife. Zum Tanzen braucht man nicht nur den richtigen Körper und Talent sondern auch das Gehirn.“ Manchmal denkt Matthwes auch zu viel, dann muss Legris eingreifen: „Stop thinking, Greig.“
Doch auf den Knopf für den Wendepunkt hat John Neumeier gedrückt. „Es war bei den Proben für „Verklungene Feste“ als Neumeier gesagt hat: ,Greig, ich seh dich nicht’“. Greig schaut ihn mit seinen großen blauen Augen an und versteht gar nichts. Neumeier wird direkter: „Wer bist du? Was fühlst? Ich will, dass du es bist, der da tanzt.“ Eine Erleuchtung. Schon in der nächsten Vorstellung ist die Wirkung von Neumeiers Credo „Individualität, Authentizität, Emotionalität“ sichtbar. Greig Matthews tanzt in „Ein Reigen“ von Ashley Page Richard Gerstl, den Liebhaber von Mathilde Schönberg (Nina Poláková). Glaubwürdig und berührend. Aus der Skizze eines Dreiecks ist eine wahre Geschichte von liebenden und leidenden Menschen geworden.
Intensiv hat er er mit Legris seinen Auftritt in „Spring and Fall“ (1. und letzter Satz der Serenade) geprobt, eine Rolle die ihm gut gefällt, auch wenn sie nicht leicht zu tanzen ist. „Ich sehe in dieser Choreografie einen Mann auf der Suche nach seiner Bestimmung, nach sich selbst.“ Greig Matthews selbst muss nicht mehr suchen, er hat seine Bestimmung gefunden und seine Passion. Und er wird seine nächste Solorolle finden, an der Rampe sehen und den Applaus genießen. Vielleicht schon in der kommenden Saison. Als Lenski in John Crankos „Onegin“. Wiederaufnahme: Februar 2016. Zeit genug, um Kopf und Körper zu trainieren.
„Junge Talente des Wiener Staatsballetts“, 2., 9., 17. Juni 2015, Volksoper.