Muk im Muth: Abschlussklasse Tanz
Mit Esther Balfe, Darren Ellis und Doris Uhlich hat die Abschlussklasse Tanz im MuK (Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien) drei unterschiedliche Choreografien erarbeitet, die an zwei Abenden unter dem zusammenfassenden Titel "Articulation" die Bandbreite des Studiums und das hohe Niveau der Student*innen gezeigt haben. Am 2. April, dem Tag nach der Premiere, haben die sechs Studentinnen und zwei Studenten die Bachelorprüfung bereits bestanden, sie konnten als Profis auftreten.
Der Reihe nach. Der Engländer Darren Ellis, als Gastchoreograf im aktuellen Schuljahr am MuK, nennt seine Choreografie nach dem gemeinsam mit dem Elektronikmusiker Murcof realisierten Album des französischen Jazztrompeters Eric Truffaz „human being human“. Diese Musik unterstützt den ersten schwungvollen Teil, danach geben Michael Gordon und Freunde den Rhythmus. I Want do Live heißt das Album und der Akt. Im dritten Teil ist wieder Truffaz an der Reihe, „Human Being“ nennt Ellis die Abschlusssequenz. Mit fließenden, weit ausufernden Bewegungen erinnern die Tänzerinnen und deren Kollegen an den Roman (und Film) „Odyssee im Weltraum“, der den Choreografen inspiriert hat. Zeitschnipsel und Momente aus der Evolution sollten erforscht werden. Die Themen sind sicher während der Probenarbeit besprochen worden, waren wohl auch für den Rhythmuswechsel und die Fluktuation zwischen dem freischwingenden Tanz und der kontrollierten Körperarbeit maßgeblich. Ein helles, vergnügliches Stück in passenden, aparten Kostümen: weite Hosen in dunkelblau und beigen, strahlend weiße Oberteile.
Esther Balfe und die Tänzer*innen haben sich mit einem Balletterfolg von 1999 befasst: Damals war Balfe in der von ihr mitbegründeten Compagnie Tanztheater Wien von Liz King, mit der sie auch an die Volksoper gegangen ist, als King Ballettchefin geworden ist. In ihrer ersten Spielzeit hat King das klassische Ballett „Schwanensee“ neu gemischt. Die Musik lieferten vor allem die renommierten DJ Pulsinger und Turkan, King und Catherin Guerin haben „Schwanensee Remixed“ choreografiert. Esther Balfe hat die Doppelrolle von Odette / Odile getanzt. 20 Jahre danach hat sie mit ihren Stundent*innen in „Dark Swans“ gezeigt, dass dieses damals bejubelte Ballett noch immer funktioniert. Klassisch getanzt musste nicht werden, statt Spitzenschuhe waren grellorange Socken zu sehen, dennoch erinnerten die acht Schwäne in ihren weißen Röckchen in vielen Momenten an das bekannte Ballett. Wie auf der großen Bühne der Staatsoper wurde das Ballett der Kleinen Schwäne (vier junge Damen haben das Original aus King /Guerins Choreografie allerliebst getanzt) auch vom Publikum im gut besuchten MuTh besonders beklatscht. Liz King, Begründerin des zeitgenössischen Tanzes in Wien, hat glücklich lächelnd die Vorstellung genossen. So richtig wohl gefühlt haben sich die Ausführenden aber erst im von Balfe choreografierten Finale. Raus aus der Niedlichkeit, auch wenn sie auf hart und eckig gemixt worden ist, rein ins Alltagsgewand, lockere Tanzschritte, jeder Körper hat eine Mitte. Auch die Bühne, auf der nun ein Tisch steht, Einladung fürs Gruppenfoto mit Damen und Herren. Damit der Schwanentanz auch schon dicht wirkt, haben sich zwei aus dem 3. Jahrgang daruntergemischt. Wie hart die Arbeit mit diesem schwierigen Stück war, haben nur Insider sehen können.
Die weißen Schwäne und auch der schwarze haben eine Pause verdient, das Publikum bekommt sie auch. Und dann bekommt es Doris Uhlich und die acht Tänzer*innen und weiß bald nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Der Pausenwein verdampft, bald rinnt der Schweiß, die Muskeln zittern: Die Tänzer*innen haben sich in den Kampf geworfen. Kampf miteinander, mit ihrem Körper, mit ihrer Kraft und Energie. Sie stehen auf dem Kopf und tanzen mit den Beinen, prallen aneinander, werfen sich auf den Boden, gehen auch im Pas de deux nicht zärtlich miteinander um, schütteln und rütteln sich und messen ihre Kräfte aneinander. Den Humor verlieren sie nicht dabei, dass die Choreografien, fast schon eine internationale Ikone des zeitgenössischen Tanzes, ihn hat, weiß man aus ihren immer wieder neuen Choreografien. Diese Frau hat Power, und so heißt auch das Stück, das sie mit dem 4. Jahrgang erarbeitet hat. Im Mittelteil wechseln der Rhythmus und die Stimmung. Kein fröhliches Kräftespiel mehr, düsteres Licht, verhüllte Köpfe, zum Abschuss freigegeben? Sophia ist gefesselt, auch an den Füßen mit den Bändern der rosa Spitzenschuhe, auf diesen stakst sie sicher und aufrecht durch die barfuß tobende Menge, heißere Schreie erklingen und aus dem Lautsprecher brüllt der Sänger: „The Devil is alive“.
Genau, der Teufel ist los, wenn Doris Uhlich mit jungen Tänzerinnen und Tänzern choreografiert und sämtliche Stimmungswechsel, der Jugend Freiheitsbedürfnis, ihre Sehnsucht nach Gemeinsamkeit und ihren Wunsch einzigartig zu sein, in Bewegung übersetzt. Schon ist die düstere Szene verschwunden, die Bewegungen werden ruhiger, Stillstand gibt es keine Sekunde lang, selbst wenn sie auf dem Boden liegen, wackeln sie mit den Zehen. Ich bin schon längst erschöpft, möchte die Muskeln lockern, den Durst löschen, doch auf der scheinen die Tänzer*innen noch immer Reserven zu haben, platzen förmlich vor Energie, die Kleider müssen runter, unterschiedlich radikal machen die acht das, dann ein letztes Aufbäumen, ein letztes Schütteln, ein letztes Zusammenballen der Gruppe, ein letzter Tanz des Fleisches. Einzeln verlassen sie die Bühne, mit unterschiedlichem Ziel – kommen erst wieder, wenn der Applaus aufbrandet. Acht frisch gebackene Bachelors bedanken sich glücklich lächelnd. Dass einige bereits ein Engagement haben, wird niemanden verwundern.
Drei ausgereifte Choreografien, acht präzise und dynamisch tanzende junge Künstler*innen. Diese Klasse macht der Muk alle Ehre.
„Articulation“, Eine Produktion des Studiengangs Zeitgenössischer und Klassischer Tanz an der MuK, Studiengangsleitung: Nikolaus Selimov. Choreografien von Esther Balfe, Darren Ellis, Doris Uhlich. Tanz: Verena Herterich, Ivana Kacanski, Lukas Knoll, Matthias Pfeifer, Marie Schmitz, Sophia Schneider, Jasmin Steffl, Diana Wöhrl (aus dem 3. Jahrgang: Ivana Orsolic, Lukas Ziegele in „Dark Swans“). Premiere am 1. April 2019. Gesehen am 2. April 2019 im MuTh. Fotos: © Armin Bardel