Chris Haring /Liquid Loft: „Babylon (Slang)“
Babylon (Slang)" ist eine weitere Aufführung in der Serie “Foreign Tongues” von Christ Haring und seiner Company Liquid Loft. Die Serie beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von sprechendem und bewegtem Körper. Nach der eindrucksvollen Performance „Church of Ignorance“ in der säkularisierten Dominikanerkirche von Krems während des Donaufestivals `18 ist „Babylon (Slang)“ im Museumsquartier / Hofstallungen (mumok) im Rahmen des ImPulsTanz Festivals 2018 zu sehen.
Ausgangspunkt der Serie „Foreign Tongues“ sind Sprachaufnahmen, inzwischen sind es 42, die im Rahmen von Interviews, vor allem mit Bewahrer*Innen von Minderheitensprachen und Dialekten aufgenommen worden sind. Dabei geht es nicht um Inhalte, sondern um Melodie und Tonfall, Rhythmus und Dynamik. Wörter, die willkürliche Zusammensetzung von Zeichen, hat an sich keinen Sinn, dieser wird ihnen erst von jenen unterlegt, die diese Sprache gelernt haben. Auch Kleinkinder sprechen, wir sind entzück und lassen sie nicht wissen, dass wir den Sinn ihres Brrr und Blaa nicht verstehen. Ob sie wirklich mit mamamam die Mutter meinen? Wir sagen es ihnen.
Mit ihren Körpern übersetzen die acht Tänzerinnen und Tänzer von Liquid Loft die teilweise verständlichen, teilweise verfremdeten und verzerrten Sprachaufnahmen, also die vokale Performance, in eine physische. Sprache wird Bewegung. Jede(r) trägt ihre (seine) eigene Klangwelle mit sich, kann sie selbst ansteuern und ist mit den anderen über Bluetooth verbunden. So sind oft gleichzeitig acht einzelne Solos zu sehen, dann wieder bewegt sich die Gruppe, zu synchronem oder polyphonem Klang, wie ein Körper. Eine wesentliche Rolle spielt auch der Raum. Ob in einem gotischen Kirchenschiff, in den Dünen der niederländischen Insel Terschelling, wo Liquid Loft 18 Mal (an neun Tagen je zwei Mal) aufgetreten ist, oder beim flämischen Sommerfestival in Hasselt, jedes Mal ist die Vorstellung eine andere. Die Tänzer*innen stellen sich mit ihrem „Übersetzungsprogramm“ (Sprache wird Bewegung) immer wieder neu um und erobern den Raum.
In Wien wird also in einem ehemaligen Pferdestall übersetzt, nicht nur einzelne Sprachfetzen, oft viele gleichzeitig, sind zu hören, sondern auch der allgemeine Sound, der schnarrt und krarzt, schabt und schleift, rumpelt und pumpelt, läutet und klingelt und immer wieder zum Höllenlärm anschwillt, bis zur Unerträglichkeit gesteigert. Auch die plötzlich einsetzende Stille tut weh.
Doch die Kakophonie der Stimmen und Töne setzt bald wieder ein und die Tänzer*innen formen die Laute stumm mit den Lippen und sehr „beredt“ mit ihrem ganzen Körper, der ganz in Schwarz gehüllt ist. Auch die Kostüme bestehen aus Modulen, wie die gesamte babylonische Vorführung, die weggelassen und wieder dazu genommen werden. Der Beginn ist draußen, vor den Stallungen, oben vor dem mumok steht Karin Pauer und singt, klagend, lockend, ringt die Arme. Gleich wird sie springen, fürchte ich, sie tut es nicht, verschwindet wieder von der Empore.
Unten liegen schwarze Wesen auf dem Boden, winden sich im Klangraum. Danach wandert das Publikum hinein, in die große Halle. Aufgepasst! Die schwarzen Bündel an der Wand stoßen summende Laute aus, bewegen sich, erheben sich, werden zu Figuren, die die Vermummung lösen, sind menschliche Körper, denen man folgen will, wenn sie auseinanderdriften, die man gebannt beobachtet, wenn sie sich gemeinsam Raum schaffen. Das Publikum kann nicht nah genug heran gehen, hat (als würde es vor dem Förderband im Flughafen stehen) noch nicht begriffen, dass nur im erweiterten Rund alle etwas sehen können. Die Performer*innen kümmert das nicht, wie Furien stürmen sie durch die Reihen, drängen die Sehenden, die ohnehin nicht alle und alles im Blick haben können, auseinander, erstarren zur Skulptur, der wir, wie auch manchen Szenen, Sinn geben können.
Gesten und Bewegungen sind deutbar und meist allgemein verständlich: Eine Umarmung ist eine Umarmung, auf erhöhtem Podest will einer stehen, der was ansagen, oder gar anschaffen will, wenn der Tänzer hinter dem Mischpult gestikuliert, dann wird er zum Dirigenten (nicht unbedingt eines Orchesters).
Foreign Tongues nutzt die Kollision von Sprachen und kommunikativen Widersprüchen als Mittel der Schöpfung – unter anderem, um zu zeigen, wie viel bereits verstanden wird, selbst an einem Punkt, an dem du denkst, dass du noch nichts verstanden hast.
Beruhigend: Auch wenn man gar nicht weiß, was uns die Serie „Foreign Tongues / Fremde Zungen“ grundsätzlich und „Babylon (Slang)“ speziell mitteilen wollen, so ist diese präzise mit verblüffender, nie versiegender Energie dargebrachte Performance reiner Genuss.
Die Tänzerinnen und Tänzer sind unterschiedlich in ihren Bewegungen, aber gleich in ihrer Perfektion.
Mit Epitheta für diesen, im Gegensatz zum biblischen überaus kommunikativen Turm von Babel ist nicht zu sparen: Fantasievoll und abwechslungsreich, hochartifiziell und präzise, aufwändig und exzessiv, aufregend und spannend und immer wieder neu.
Nach kurzen 70 Minuten dürfen sich auch die Tänzer*innen kurz unter freiem Himmel ein wenig abkühlen, bevor sie, frontal aufgereiht, erstarren und den Applaus der Begeisterten – ich sage huldvoll, weil das ein schönes Wort ist – entgegennehmen.
Chris Haring / Liquid Loft: „Foreign Tongues – Babylon (Slang)”, Wienversion. Tanz & Choreografie: Luke Baio, Dong Uk Kim, Katharina Meves, Dante Murillo, Anna Maria Nowak, Arttu Palmio, Karin Pauer, Hannah Timbrell. Künstlerische Leitung Choreografie: Chris Haring.
Komposition & Sound: Andreas Berger. Lichtdesign & Bühnenbild: Thomas Jelinek. Choreografische Assistenz: Stephanie Cumming. Kostüme: Stefan Röhrle; Libretto: Alda Gianotti. Gesehen am 5. August 2018, Hofstallungen (mumok) im Rahmen von ImPulsTanz 2018.
Noch zwei Vorstellungen: 6. und 7. August 2018.