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Volksoper: „Feuervogel“ mit Bombenbesetzung

Trio Fatal in Petruschka: Mair, Wielick, Fogo. © Ashley Taylor

Unter dem Titel „Feuervogel“ zeigen drei Tänzer des Wiener Staatsballetts, was ihnen als Choreografen zur Musik Igor Strawinskys eingefallen ist. Eno Peçi verlegt seine Choreografie zu „Petruschka“ vom Marktplatz in die Schule; András Lukács kommt in „Movements to Stravinsky“ von sechs Paaren zur Pulcinella Suite und anderen Kompositionen ohne Handlung aus; Andrey Kaydanovskiy lässt den „Feuervogel“ im Kaufhaus tanzen. Das Bombige in der Besetzung der 12. Vorstellung zieht sich durch alle drei Stücke und erfreut das Publikum gleich zu Beginn mit der Neubesetzung aller Hauptrollen von „Petruschka“.

Petruschka. Choreograf Eno Peçi hat die Handlung vom Jahrmarkt in die Schulklasse verlegt, Halbsolist Géraud Wielick ist ein präsenter Lehrer, und, im immer wieder zu sehenden Verweis auf das Originalballett, eine eindrucksvolle schlappe Puppe Petruschka. In den schön ausgeführten Sprüngen zeigt Wielick Spannung, die er als zum Leben erwachte Puppe in der Sekunde verliert, um sie gleich als tanzender Lehrer wieder aufzubauen. Dennoch bleibt dieser Lehrer ein abgekämpfter Wappler, der sich gegen die aggressiven Buben (als Anführer der Bande: Trevor Hayden, Arne Vandervelde, die ihr eigenes Aggressionspotenzial wirkungsvoll einzusetzen wissen) nicht zu wehren weiß und offensichtlich keine Freude am Unterrichten hat. Der Lerher und seine Frau (Géraud Wielick, Natascha Mair) alle Fotos © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Nikisha Fogo gibt der Schuldirektorin ein düsteres Profil und erinnert in ihrem, tänzerisch überaus aufregenden, Umgang mit der Frau des Lehrers (zierlich, naiv und leicht verführbar: Natascha Mair als dritte Rollendebütantin) an die Originalfigur, einen bösartigen, sexgeilen Mohren, der sich an die von Petruschka verehrte Ballerina heranmacht. Der Lehrer, die ihn verachtende Direktorin und auch die bösen Buben, die nicht davor zurückschrecken, den Lehrer zu massakrieren, geben diesem Stück einen überaus beklemmenden Grundton. Den hält nach mehreren Vorstellungen auch Raphael Grotrian, Schüler der Ballettakademie, als Sohn des Lehrerehepaars ein. Doch es scheint, als würde er, die Reinkarnation des Vaters, etwas mehr Energie aufbringen, Chaos und Gewalt abzuwehren. Die Rolle des wiedererstandenen Petruschka scheint dem jungen Mann sichtlich Freude zu machen, so intensiv hat er daran gearbeitet. Ivan und die schne Vasilissa (Zsolt Török, Rebecca Horner)

Feuervogel. Auch das von Andrey Kaydanovskiy erdachte, ins Heute verlegte Märchen-Ballett von Michel Fokine gibt wenig Hoffnung. Gier und Machtstreben beherrschen die Menschen, und wenn einer erledigt ist, ist schon der nächste am Sprung nach oben. Géraud Wielick ist noch einmal als Feuervogel, Stachel im Fleisch des Protagonisten, Ivan, (solide: Zsolt Török), zu sehen. Unheimlich legt er diese eigentlich unsichtbare Figur im goldenen Mäntelchen an. Er will nur die Gier anfeuern, in wem, interessiert ihn nicht. Als Ivan ganz oben ist, sucht er sich das nächste Opfer. Die Überraschung an diesem Abend ist die Rolle des regierenden Bösen, Chef des Wunderlandes Supermarkt: Der Choreograf selbst tanzt die von ihm erdachte Rolle des Koschey. Feuervogel Vogel AndreyZu sehen ist ein perfekter Darsteller (zu tanzen hat der selbstsüchtige Zauberer wenig), der die Abgründigkeit dieses Usurpators so richtig klar macht. Wenn ein Tänzer choreografiert, dann ist er offenbar der beste Interpret seiner Ideen. Kaydanovskiys Rollendebüt zeigt einen wirklich blinden, grausamen Herrscher, dem ich Entmachtung und Tod von Herzen gönne. Um den eigentlich netten, nicht nur nach Geld und Gut, sondern auch nach der schönen Vasilissa lüsternen Ivan tut es mir leid. Der ihn stürzen wird, wartet vor dem Schaufenster, der Feuervogel hat ihn bereits im Visier. Rebecca Horner bestens mit der Rolle der schönen Filialleiterin, Geliebten des Koschey, vertraut. Schon bei der Premiere hat sie gezeigt, dass sie im feinen Liebes-Pas de deux mit Ivan so beeindruckend ist wie als gestrenge, keifende Chefin.
Und wieder kann ich es mir nicht verkneifen, die drei zu Scherzen aufgelegten, doch vor Koschey ängstlich zitternden Arbeiter zu erwähnen. Scott McKenzie, Dumitru Taran und Arne Vandervelde bringen ein wenig Licht ins Dunkel des Stückes und sind als Tänzer wie als Schauspieler überaus gern gesehen. "Movements to Stravinsky" mit sechs Paaren: Eine Erholung

Movements. Das wahre Labsal jedoch bringt das Mittelstück des Abends: András Lukács’ ruhiges, handlungsloses Ballett „Movements to Stravinsky“. Zum schmeichelnden Cello-Solo (in der Fassung der Suite Italienne für Cello und Klavier, gespielt von Ricardo Bru und Chie Ishimoto) oder der froh machenden Italianità der Pulcinella-Suite drehen und schreiten sechs Paare in geschmeidigem Fluss. Nichts als Heiterkeit und Schönheit, purer Tanz in beruhigender Harmonie, in edlen Kostümen, vom Choreografen selbst entworfen.
Auch Rollendebütant Trevor Hayden hat, wie die erst kürzlich engagierte Fiona McGee mit Andrey Teterin als Partner, keine Schwierigkeiten, sich in die Gruppe einzufügen. Weniger gut zurecht in ihrem Part kommt Anna Shepelyeva als Debütantin. Partner "Movements": Paar Nummer 1 – Alice Firenze, Jakob Feyferlik.Trevor Hayden lässt sich durch die Unsicherheiten nicht irritieren. Nikisha Fogo zeigt ein elegantes Solo (Partner: Richard Szabó) und ich staune, wie sie und andere, die an diesem Abend ihre so unterschiedlichen Rollen in zwei oder gar drei Stücken zu tanzen haben, in der kurzen Pause von einer Bewegungssprache (hart und eckig bei Peçi und Kaydanovskiy) in die andere (schmiegsam und weich bei Lukács) wechseln.

Das aufmerksame Publikum hat das durchaus estimiert und läßt sich auch von den aufs Genüt drückenden Eckstücken nicht abhalten, langanhaltenden Applaus zu spenden, vor allem für die Rollendebütant*innen und auch den Dirigenten, David Levi.

„Der Feuervogel | Petruschka | Movements to Stravinsky”, Choreografien von Andrey Kaydanovskiy, Eno Peçi, András Lukács. 12. Vorstellung, 8. Oktober 2017, Wiener Staatsballett in der Volksoper.
Nächste Vorstellungen in der Volksoper: 10. Oktober 2017 in derselben Besetzung; 15., 21. Oktober 2017, in anderer Besetzung, etwa Andrey Teterin als Lehrer.