„Giselle“ – Debut von Masayu Kimoto
Alles wird besser. Nachdem in der ersten Vorstellung die zahlreichen Debütant*innnen – etwa 99,9 % aller Mitwirkenden – ohne eine einzige Probe auf der Bühne ihre Wege, mitunter auch die Partner, haben finden müssen, haben die Solist*innen nach mehreren Auftritten ihre Balance wieder gefunden, das Ensemble hat sich konsolidiert. Der Höhepunkt des 2. Aktes, die gegeneinander bewegten Arabesques von 26 Wilis, wird mit spontanem Applaus bedacht. Am Ende zeigte sich das Publikum mit den Solist*innen und dem Corps recht zufrieden. Dass Masayu Kimoto seinen ersten Auftritt als Herzog Albrecht gehabt hat, wurde kaum registriert.
Im Grunde ein gutes Zeichen.
Der Erste Solotänzer macht als Herzensbrecher Albrecht gute Figur. Locker, mit weichen Bewegungen lockt er die naive Giselle, lässt sich von ihr zum Tanz verführen, schwenkt betropetzt sein Fähnchen zu seiner ihm längst versprochenen Braut und deren Vater, wenn der eifersüchtige Hilarion (Andrey Kaydanovskiy) seinen Schwindel aufdeckt, um gleich darauf Giselles Tod dramatisch zu beweinen. Im Wald der rasenden Wilis, die gerne alle Männer zu Tode tanzen möchten, erhält Kimoto für seine sauberen, mit flinken Beinen battierten, Sprünge begeisterten Applaus.
Bleich vor Todesangst tanzt Andrey Kaydanovskiy mit kräftigen Sprüngen seinem Ende entgegen. Im ersten Akt ist weniger die Tanzkunst des „bösen Elements“ gefordert als die des intensiven Spiels. Als Schauspieler ist Kaydanovskiy ebenso präsent wie als Tänzer. Seine Eifersucht leuchtet gelb, rot glühend ist der Hass auf den bei der einfachen Winzertochter Giselle erfolgreichen Herzog. Dass dieser von Giselle eher rüde abgewiesene junge Mann zornig und verbiestert ist, macht Kaydanovskiy mit Entschlossenheit klar. Er hat nichts dagegen, den Widerling zu spielen. Ob Hexe Madge, Monsieur G.M. oder düsterer Tod, Andrey Kaydanovskiy ist nicht nur als erfolgreicher Choreograf ein Geschichtenerzähler.
Ein weiteres Mal tanzt Nina Poláková die Giselle. im ersten Akt bedeutend fröhlicher, jünger, leichtfüßiger als in den Vorstellungen davor, nahezu immateriell, schwebend als Wili im zweiten. Zurecht beklatscht werden Poláková und Kimoto für den einfühlsam getanzten Grand Pas de deux im zweiten Akt – ein zärtliches Verzeihen und letztes Lebewohl des sich auflösenden geisterhaften Wesens. Gestreut werden nicht letzte Rosen, sondern steife, weiße Plastiklilien. Albrecht darf weiterlebe, auch wenn er gar nicht unschuldig ist.
Nicht zu vergessen, zwei weitere, höchst erfreuliche Doppeldebüt: das Bauernpaar. Virtuos tanzt Alice Firenze mit Leonardo Basilio, der sich in der lebhaften Einlage, die ihr Ende im Quartett mit Giselle und Albrecht findet, sichtlich wohler fühlt als in der so schwierigen durch dauernde Bühnenpräsenz kaum Erholung bietenden Rolle des Prinzen Siegfried in Schwanensee. Es ist schön, wenn Ballettchef Manuel Legris aufstrebenden Tänzerinnen und Tänzern, die Chance gibt, sich in Solorollen auszuprobieren, doch sie mit dem Katapult in höchste Höhen zu werfen, ist vermutlich nicht die allerbeste Methode der sorgfältigen Förderung junger Talente. Der Fall kann sehr tief sein.
Auch in kleinen Solopartien kann sich Begabung zeigen. Etwa mit den beiden 1. Wilis, die ein hübsches Solo flattern dürfen. Rikako Shibamoto und Elena Bottaro, die eine dunkel, temperamentvoll und zierlich, die andere blond, zart und elegisch, fliegen allerliebst, im besten romantischen Sinn, durch den dunklen Tann. Sie müssen nicht herzlos sein wie ihre Schwestern und die Königin (Rebecca Horner, der ein wenig mehr Kälte gut anstehen würde), können all ihre Lieblichkeit einsetzen. Auffallend im Sextett der Freundinnen Giselles auch die zarte, sicher tanzende Corpstänzerin Xi Qu. Mit ihr gefallen die Halbsolistinnen Bottaro und Sveva Gargiulo sowie die Corpstänzerinnen Fiona McGee, Shibamoto und Céline Janou Weder.
Abschließend würde ich mir noch wünschen, dass Dirigent Valery Ovsianikov und das Orchester im 1. Akt, der ja anfangs nur Heiterkeit verströmen soll, damit der plötzliche Tod Giselles umso mehr ins Gemüt fährt, etwas lebhafter ist, dann wird auch diese Serie des Balletts zufriedenstellen.
„Giselle“, Choreografie und Inszenierung: Elena Tschernischova nach Jean Coralli, Jules Perrot, Marius Petipa. 4. Vorstellung nach der mit Debüts überlasteten Serien-Premiere. 28. September 2017, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Nächste Vorstellungen: 1.10. mit Poláková / Kimoto; Debüt von Oxana Kiyanenko als Myrtha, Königin der Willis.
9.10. 2017 mit Ioanna Avraam (Debüt) und Denys Cherevychko. Rikako Shibamoto und Scott MacKenzie debütieren als Bauernpaar.