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ImPulsTanz: Stamer / Wilens “On Truth and Lie“

Frank Willens im Brettergehäuse © eSel

Frank Willens, vielfach talentierter Bühnenkünstler und Peter Stamer, Performer und Regisseur, bringen einen Text von Friedrich Nietzsche zum Tanzen. Vom ImPulsTanz Festival eingeladen, wird das Solo „On Truth and Lie in an Extra-Moral Sense“ im mumok gezeigt. Willens verzichtet auf den Applaus, entschwindet, während das Publikum noch die Bilder der Ausstellung „Painting 02“ betrachtet, auf die Willens zum Abschluss hingewiesen hat.

Nur am plötzlichen Verstummen der wartenden Gesellschaft, ist zu erkennen, dass die Vorstellung begonnen hat. Erst nach einer Weile, wenn die Menge sich bewegt, wird der sich am Boden windende Performer sichtbar, er nähert sich als Schlange (nach Nietzsche nur ein Wort, ich könnte auch Wurm sagen), dem nächsten Raum in dem ein aus losen Brettern zusammengefügtes fragiles Gehäuse steht. Es ist nicht leicht sich da hinein zu winden, sich von Brett zu Brettern zu hangeln, durch die Spalten zu schauen und immer höher kletternd zu sprechen. Willens hat das seltene Talent mit dem Publikum Kontakt aufzunehmen ohne es zu belästigen, so doziert er nicht, rezitiert auch nicht seinen Nietzsche sondern erzählt, erklärt, will, dass wir nicht nur schauen sondern auch hören. "On Truth and Lie": Installation ©  eSel

Schon mit der hölzernen Installation wird Nietzsches Text visualisiert und plastisch. Spricht er doch in seinem Text aus dem Nachlass „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“ (1873) – Willens spricht in, sehr schön und klar, auf Englisch, weil er mit Stamer meint, er bekäme in der Übersetzung gerade für Deutschsprechende eine andere, pragmatischere Ebene zutage – in diesem Text also nennt Nietzsche die Menschen von der Wahrheitssuche besessen und beklagt, dass sie sich aus Wörtern „ein ungeheures Gebälk und Bretterwerk der Begriffe“ gebaut hätten, statt sich von Intuitionen leiten zu lassen. Die Sprache, so Nietzsche, vermittle keine Erkenntnis, ist weit von der Wahrheit entfernt, eine einzige Täuschung und Lüge. Die Begriffe vermitteln keine Realität, sie sind nur Metaphern.

Stamer und Willens lassen den mehr als 10 Seiten langen Text nicht ungeschoren, streichen, stellen um und extemporieren. Endlich ganz oben angekommen, bringt der Tänzer eigene Beispiele, hohler, vom Menschen erfundener Begriffe, denen lediglich jene Bedeutung innewohnt, die wir ihnen gegeben haben und die für jede(n) eine andere ist. Was ist ein Cappuccino? Willens muss die erwünschte Diskussion bremsen. Ein Begriff ist nur eine Metapher und kann niemals alle Realitäten widergeben.

Spannend. Von den schönen Gesten eines Tänzers begleitet. Und dann kracht es.

Der Erzähler klettert höher und höher (Willens) ©  eSeLWährend Willens von ganz oben herab verkündet, dass sich der Mensch irrt, wenn er sich für das Maß aller Dinge hält, fällt das Klettergerüst in sich zusammen, ist nur noch als eine Ansammlung von Brettern zu gebrauchen, auf denen der Tänzer vergeblich versucht zu balancieren.

Endlich eine Performance, die wirklich in einem Museumsraum zu Hause ist, die die Bilder in der abschließenden Miniführung zum Thema (die Lüge der Begriffe versus die Wahrheit der Intuition) mit einbezieht. Allerdings sind die hohen Museumsräume für stumme Bilder und Objekte errichtet, weniger für das gesprochene Wort. Willens ganz oben: Der Mensch als Mass?. © eSelDie Akustik ist miserabel, die Zuschauerinnen wollen nach alter Theatergewohnheit in der ersten Reihe sitzen (geht ohnehin nicht, im Museum muss man stehen) und sind daher viel zu nahe an der hölzernen Bühne, was weder bessere Sicht noch besseres Hören gewährleistet.
Gerade deshalb aber auch aus Begeisterung, habe ich größte Lust diese mit knappen 50 Minuten auch überaus kompakte Arbeit noch einmal zu sehen, Frank Willens’ Mienenspiel zu beobachten, ihn zitieren und frei sprechen zu hören.

Peter Stamer & Frank Willens: „On Truth and Lie in an Extra-Moral Sense“, Performance zu einem Text von Friedrich Nietzsche, mumok, 28. Juli 2016, im Rahmen von ImPulsTanz.
Eine weitere Vorstellung am 28. Juli.
Am 8. August 2016 lädt Peter Stamer um 17.30 Uhr zu einem Spaziergang durch die Ausstellung „Painting 0.2“ ein. Ausgehend von Nietzsches Text fragt er: „Wie begegnen wir dem Künstlerischen, ohne sogleich etwas darüber zu wissen?“