Der kanadische Übersetzer und Autor schreibt sich mit dem Roman Jones seine schmerzhafte Kindheit von der Seele. Keine Autobiografie, sondern eine mit Witz und Humor gedämpfte Tragödie, deren Basis die Kindheit und das Heranwachsen des Autors und seiner Schwester ist. Seine Erinnerungen und Gefühle erlebt das fiktive Geschwisterpaar, Abi und Eli, für den Autor.
In ihrem jüngsten Roman, Das Herzflorett, erzählt Marica Bodrožićs von Pepsi, einem in Kroatien geborenen Mädchen, das sich in die deutsche Sprache verliebt. Autofiktion, natürlich, denn auch Bodrožićs ist in Kroatien geboren, bei den Großeltern aufgewachsen und mit 10 Jahren von den Eltern nach Deutschland geholt worden. Die Sprache gab und gibt ihr Heimat, davon handelt auch Pepsis Geschichte.
Als wollten sie eine Barkasse einholen, ziehen fünf junge Frauen an unsichtbaren Seilen. Die Tänzerinnen sind keine Matrosinnen, die Taue, an denen sie zerren, die sie loslassen und neu verbinden, führen in die Tanzvergangenheit. In der Choreografie A rolling hitch erforscht Elizabeth Ward mit der Tanzgruppe Parasol, was vom europäischen Tanzerbe geblieben ist. Nach drei Monaten Forschungs- und Probezeit war Premiere in der Halle G im Museumsquartier.
Seit mehr als zehn Jahren belebt die finnische Sängerin und Musikpädagogin Elina Lautamäki die Performanceszene. Meist mit anderen in der Gruppe, doch wagt sie sich auch allein auf die Bühne. Was für eine wunderbare Zeitverschwendung / what a wunderful waste of time nennt sie ihre Performance, die sie ein Jahr nach der Premiere im Ateliertheater für zwei Abende wieder aufgenommen hat.
Was ist Heimat? Wo sind wir zu Hause? Wo fühlen wir uns zu Hause? Mit der Performance Feeling of Home suchen Frans Poelstra und Oleg Soulimenko nach einer Definition von Heimat und Zuhause. Als Artisten in Residence haben sie dem heimatlichen Gefühl 2023 auf der Bühne in Leipzig nachgespürt. Am 27. 11. hat die heftig akklamierte Premiere im WuK stattgefunden.
Oleg & Frans oder Frans & Oleg, das klingt wie Laurel & Hardy (auf Deutsch billig und banal Dick & Doof genannt) oder Flanders and Swann, doch eigentlich sind die genannten Herren old fashion. Das Pingpong der Wörter gibt es nicht mehr, wäre zwischen Oleg & Frans auch ziemlich schwierig. Sie erzählen lieber Geschichten und spielen Fußball, werfen sich vielleicht auch eine Frisbeescheibe zu, als schwarz-weiß (dünn-dick, gut-böse …)-Duo aufzutreten ist nicht ihr Anliegen. Poelstra und Soulimenko sind kein festes, aber ein fantastisches Bühnenpaar. Sie sind komisch, auch wenn (oder weil) sie keine Witze erzählen. Sie verbergen den Ernst geschickt unter fröhlichem Esprit und vor allem – und das ist außergewöhnlich in der ausgetrockneten Performanceszene – sprühen sie vor Charme und Spielfreude. Wenn ich „Oleg & Frans“ denke (noch einmal, damit kein falscher Eindruck entsteht: Das Duo gibt es nicht, es ist meine Konstruktion, pure Fantasie), fallen mir Walter Matthau und Jack Lemmon ein, The Odd Couple, das seltsame Paar, in der Filmkomödie von Gene Saks 1968, nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Neil Simon.
Pardon für die Vergleiche, sie sind fehl am Platz, denn Oleg Soulimenko und Frans Poelstra sind einzigartig, allein oder im Doppel. In ihrem aufwändig gestalteten Stück (wie immer baut Oleg als begnadeter Heimwerker die Bühne als Teil der Vorstellung auf) träumen sie sich zurück in die Kindheit und nach vor in eine neue Heimat. Die ist, das wird schnell klar, auf der Bühne. Ob diese in einer windschiefen Pawlatschen aufgebaut is oder im Gelände einer aufgelassenen Spinnerei in Leipzig. „Residenz“ nennt das Schauspiel Leipzig seine Dependance in der alten Baumwollspinnerei, einem von Kultureinrichtungen genutzten Gelände, ähnlich der ehemaligen Ankerbrotfabrik in Wien, die nach dem Umbau zum Kulturgelände unter „Brotfabrik Wien“ firmiert. Die beiden Künstler sind keinesfalls „alte weiße Männer“, wie es im WuK-Programm zu lesen ist. Sie sind jung, fesch und in allen Hautfarben, auch wenn Poelstra, mit 70 der Ältere und Soulimenko, mit 64 der Jüngere, eine Brücke benötigen, um sich miteinander zu verständigen.
Oleg Soulimenko kommt aus „einem sehr großen, weit entfernen Land, in das er nicht mehr zurückkann“ und wohl auch nicht mehr zurückwill. Frans Poelstra, in den Niederlanden geboren, spricht nicht Russisch, doch weil seine Muttersprache dem Deutschen ziemlich nahe ist, tut er sich damit leicht.
Doch die Wörter sind nur ein Teil der Performance, sie machen Musik, mit Instrumenten, die sie nicht beherrschen, singen, obwohl kein Opernhaus sie engagieren würde; schaffen eine Skulptur, auch wenn keine Galerie sie ausstellen wird. Sie schwenken fantasievolle Fahnen und bauen fantastische Skulpturen, zeigen Bilder aus ihrer Kindheit, und es ist egal, ob sie echt oder erdacht sind. Sie unterhalten das Publikum multimedial, auf vielfältige Weise und regen es heimlich zum Nachdenken an.
Wenn sie sich in ihre goldenen Hosen zwängen, Oleg mit, Frans ohne Bauch, und die Hemden ausziehen, dann erinnern sie an die Zeiten, in denen nackte Haut auf der Bühne ein Tabu war. In diesem Jahrhundert treten Tänzerinnen und Performerinnen scharenweise im Nacktkostüm auf. Das Nackerpatzl ist Usus geworden. Die Liste der Länder mit Zensur, wo Nacktheit auch im künstlerischen Kontext geahndet wird, ist recht lang.
Lässig und entspannt lassen die beiden Darsteller ihre durchdachte Show wie zufällig improvisiert aussehen. Doch, wie unter den komischen Dialogen, der fröhlichen Poesie und dem zärtlichen Humor jede Menge Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit versteckt ist, sind hinter dem geordneten Chaos und der scheinbaren Achtlosigkeit professionelle Arbeit, Engagement und die Lust am Spielen zu finden. Das Gefühl von Heimat, von Zuhause spüren Frans & Oleg, wenn sie auf der Bühne tanzen, singen, musizieren und plaudern.
Am Ende soll ein Konzert entstehen und dazu braucht das Doppel Hilfe. Der Komponist, Musiker und Zusammenarbeiter (Eigendefinition) Oliver Stotz erweitert das Duo zum Trio. Und wenn das Licht ausgeht, brandet die Begeisterung hoch.
The Feeling of Home, 27., 28. November 2024, WuK.
Konzept, Performance, Music: Oleg Soulimenko, Frans Poelstra, mit Unterstützung von Oliver Stotz
Fotos: © Susann Friedrich
Das ImPulsTanz Festival 2024 ist kaum beendet, schon wirft das nächste seine bunten Schatten voraus. Die gewöhnlich glanzvollen Eröffnungsvorstellungen im Burgtheater stehen fest, und wer ganz sicher dabei sein will, bestellt seine Karten noch heuer. Das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, Boris Charmatz, Akram Khan und Sasha Waltz sind nur einige der Gäste im Burgtheater.